Mit einer feierlichen Gedenkstunde hat Deutscher Bundestag am Freitag zum Holocaust-Gedenktag der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung gedacht. Zum ersten Mal standen dabei verfolgte Homosexuelle und weitere Angehörige sexueller Minderheiten im Mittelpunkt. Diese Opfergruppe habe «lange um ihre Anerkennung kämpfen» müssen, sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) in ihrer Rede.
Ein Zeichen gegen die Diskriminierung
Viele homosexuelle Männer seien in der NS-Zeit zu langen Haftstrafen verurteilt, zur Sterilisation gezwungen und oft auch in Konzentrationslagern ermordet worden, erinnerte Bas. Doch «auch lesbische Frauen waren vor Verfolgung keineswegs sicher», fügte sie hinzu.
Zudem habe für queere Menschen auch das Ende des Nationalsozialismus kein Ende staatlicher Verfolgung gebracht, das Verbot der Homosexualität galt weiter. Erst 1994 sei der Strafrechtsparagraf 175 vollständig gestrichen worden. «Es dauerte noch einmal viele Jahre, bis alle Urteile aufgehoben wurden», sagte die Bundestagspräsidentin. Auch sei erst spät angefangen worden, an diesen Teil der Verfolgungsgeschichte zu erinnern.
«Wir gedenken aller Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt, beraubt, gedemütigt, ausgegrenzt, entrechtet, gequält und ermordet wurden», betonte Bas. Konkret nannte sie Jüdinnen und Juden, Opfer der deutschen Besatzungsherrschaft und Vernichtungspolitik insbesondere in Mittel- und Osteuropa, Sinti und Roma, Opfer der Euthanasie, Verfolgte wegen ihrer politischen Überzeugung oder ihres Glaubens, Angehörige sexueller Minderheiten, als «asozial» Diffamierte, Kriegsgefangene, Widerstandskämpferinnen und -kämpfer, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.
«Viele der Opfer des deutschen Vernichtungskriegs im Osten waren Ukrainerinnen und Ukrainer», sagte Bas auch. Sie äusserte sich erschüttert, «dass auch Überlebende des Holocaust durch die gegenwärtigen russischen Angriffe auf die Ukraine getötet wurden». Der Holocaust-Überlebende, Vorsitzende der Allukrainischen Vereinigung der Juden und heutige Kriegsflüchtling Boris Zabarko nahm an der Gedenkveranstaltung teil.
«Nie wieder» – das ist ein Auftrag
Nachdrücklich mahnte Bas zum Gedenken an die im Namen des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen. «Mich beunruhigen auch Versuche, die Einzigartigkeit des Holocausts zu relativieren», sagte die Bundestagspräsidentin. «Es kann keinen Schlussstrich geben», stellte sie klar.
«Antisemitismus und Antiziganismus, Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nehmen zu», wandte sie sich auch gegen aktuelle Diskriminierung - von Jüdinnen und Juden, aber auch von Homosexuellen. «Das ist eine Schande für unser Land», hob Bas hervor. «Nie wieder» – das ist ein Auftrag. Für uns alle. Jeden Tag», stellte sie klar.
Die jüdische Holocaust-Überlebende Rozette Kats erzählte in der Gedenkveranstaltung das Schicksal ihrer in Auschwitz ermordeten Familie. Sie begrüsste ausdrücklich das Gedenken auch an die queeren Opfer des Nationalsozialismus, denn «ich erkenne wichtige Gemeinsamkeiten mit meinem eigenen Leben». Kats selbst überlebte unter falscher Identität in Amsterdam.
Weitere Reden erinnerten an die Schicksale von Opfern des Nationalsozialismus, deren Lebensgeschichten exemplarisch für die Verfolgung sexueller Minderheiten sind - für die Zeit des Nationalsozialismus Mary Pünjer und Karl Gorath sowie für die Zeit danach Klaus Schirdewahn.
Der 27. Januar ist der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz in Polen durch sowjetische Truppen 1945. 1,3 Menschen wurden von den Nationalsozialisten dorthin deportiert und meist gleich nach ihrer Ankunft ermordet, darunter etwa eine Million Jüdinnen und Juden. Auschwitz ist «Inbegriff des Holocaust», sagte Bas.
(AFP)