Wenige Tage nach den Terroranschlägen in Spanien und Finnland hat sich Österreichs Aussenminister Sebastian Kurz (30) zu Wort gemeldet. Der politische Shootingstar der Alpenrepublik, der in wenigen Wochen die Parlamentswahlen gewinnen will, hat vor dem Einfluss der Türkei und Saudi-Arabiens auf dem westlichen Balkan gewarnt.
In Sarajevo und Pristina, so Kurz gegenüber dem «Handelsblatt», würden «Frauen dafür bezahlt, voll verschleiert auf die Strassen zu gehen». Der Einfluss wahhabitischer Prediger müsse zurückgedrängt werden: «Hier dürfen wir nicht tatenlos zusehen.»
Pulverfass Westbalkan
Tatsächlich gleichen Bosnien-Herzegowina, Albanien, Serbien, Mazedonien und der Kosovo 26 Jahre nach Beginn der Jugoslawienkriege zunehmend einem Pulverfass mit gefährlich kurzer Lunte.
Doch der Westbalkan ist Spielwiese nicht nur für den Radikalislam der Türken und Saudis. Auch Russland, die EU und Washington kämpfen um Einfluss und unterstützen die jeweils genehmen lokalen Nationalisten.
Unmittelbar nach den Unabhängigkeitskriegen tauchten in der Region scheinhumanitäre Hilfsorganisationen aus Saudi-Arabien und dem Iran auf, die Frauen mit 100-Mark-Scheinen für die Vollverschleierung köderten.
«Keine Beweise»
Aber «es gibt keinen belastbaren Beweis dafür, dass Frauen auch heute für das Tragen der Burka bezahlt werden», bestreitet der kosovarische Investigativ-Journalist Visar Duriqi den Vorwurf des Wiener Aussenministers.
Duriqi kennt die islamistische Szene wie kaum ein anderer: Nach dem Krieg beobachtete der ausgebildete Imam die gezielte Radikalisierung junger Muslime. Aus Protest wechselte er die Seiten und begann ein neues Leben als investigativer Journalist. Für seine Recherchen über das Treiben in- und ausländischer Islamisten im Kosovo erhält er regelmässig Morddrohungen.
Perspektivlosigkeit nährt IS
Seit Da’esh, wie der IS in der arabischen Welt genannt wird, 2014 sein Kalifat ausrief, sind Hunderte junger Islamisten aus Bosnien und dem Kosovo nach Syrien und in den Irak in den «Heiligen Krieg» gezogen. Keine andere Region – vom nördlichen Kaukasus abgesehen – hat wohl so viele Dschihadisten hervorgebracht.
«Grund dafür ist die soziale und berufliche Perspektivlosigkeit der jungen Männer», warnt Duriqi: Der Weg in die westeuropäischen Arbeitsmärkte ist versperrt. Zu Hause herrschen Korruption und Vetternwirtschaft. «Da erschien vielen ein garantierter Sold als Gotteskrieger des sogenannten Islamischen Staats als lohnende Alternative.» Zumal der Weg an die Front frei war: Kosovaren können ohne Visum in die Türkei einreisen.
EU in weiter Ferne
Berlins Europa-Staatsminister Michael Roth weiss: «Die Zukunft des Westbalkans liegt in der EU.» Das haben auch die Teilnehmer der Triester Balkankonferenz im Juni erneut bestätigt. Doch die von ihnen errichteten Hürden – politische Reformen, Kampf gegen Korruption und mehr zwischenstaatliche Kooperation – machen jede Hoffnung auf eine baldige EU-Mitgliedschaft zunichte.
Konkrete Lösungsvorschläge, sagt Visar Duriqi in Pristina, hätte er sich von Wiens Aussenminister Sebastian Kurz gewünscht: «Wer aus wahltaktischen Gründen alles auf den Islamismus schiebt, springt zu kurz.»