«Hätten ihn stoppen können»
V-Mann beschattete Berlin-Attentäter monatelang

Beim Terror-Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Jahr 2016 starben elf Menschen. Der Attentäter: Anis Amri (†24). Seit diesem Anschlag macht sich ein Polizeispitzel Vorwürfe. Er kannte Amri, wusste wie gefährlich er ist. Doch niemand hielt ihn auf.
Publiziert: 06.03.2020 um 23:08 Uhr
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Aktualisiert: 07.03.2020 um 15:05 Uhr
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Mit einem gekaperten Sattelzug steuert Anis Amri in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Zuvor hatte er den Lkw-Fahrer erschossen.
Foto: AFP

Zuerst tötete er einen Lastwagenfahrer, dann donnerte Anis Amri (†24) am 19. Dezember 2016 mit dem tonnenschweren Sattelzug über den Berliner Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz. Elf Menschen wurden aus dem Leben gerissen, 55 verletzt. Der Terror-Anschlag in der Hauptstadt erschütterte Deutschland.

Nun meldet sich Murat Cem*, ein V-Mann zu Wort. Er kannte Anis Amri genau, wusste, wie gefährlich der Tunesier war. Doch trotz seiner Warnungen taten die Behörden nichts, nahmen Amri nicht fest. Bis heute macht sich Cem deswegen Vorwürfe. «Wir hätten ihn stoppen können, aber wir haben es nicht getan», sagt er zum «Spiegel».

Liess Dealer, Waffenhändler und Mörder auffliegen

Bevor er Amri kennenlernte und tief in die salafistische Szene eindrang, war Cem bereits als Polizeispitzel aktiv. Sein Name bei der Polizei: VP01 (VP = Vertrauensperson). Die Behörden setzten ihn gerne ein. Cem war einer der Besten. Viele Schwerverbrecher konnten die Ermittler durch seine Arbeit hochnehmen. Dealer, Waffenhändler, Mörder. Niemand war vor VP01 sicher.

Dann tauchte er in eine Islamistenzelle ab. Sein erstes Ziel: Hassprediger Abu Walaa. Er galt als einer der führenden Köpfe des Islamischen Staates (IS) in Deutschland. Danach wurde er auf Sami A. angesetzt, den Ex-Leibwächter von Osama Bin Laden.

So lernte Cem auch am 17. November 2015 Anis Amri kennen. Und schnell war klar: Der ist gefährlich. Ein paar Tage nach dem ersten Treffen rapportierte den Behörden. «Anis macht auf mich einen sehr radikalen Eindruck, er will unbedingt für seinen Glauben kämpfen», berichtet der «Spiegel».

Anis Amri wusste, dass er beschattet wird

Eine Zeit lang hatten Cem und Amri ein enges Verhältnis. Doch das änderte sich, als der spätere Attentäter immer mehr Zeit in Berlin verbrachte. Und nicht nur das: Durch den Stadtwechsel Dortmund – Berlin, änderten sich auch die Ermittler. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin sah keinen Grund darin, Amri beschatten zu lassen und die Polizei hatte nichts gegen ihn in der Hand.

Nur der Staatsschutz blieb an dem Attentäter dran. Doch den Kollegen in Berlin unterlief ein Fehler. Sie nahmen in einer voreiligen Aktion am 18. Februar 2016 Amri fest. Und der wusste dann: Er steht unter Beobachtung. Lange blieb er nicht in Haft. Konkrete Anschlagspläne konnte man ihm nicht nachweisen.

«Es war Anis Amri»

Kurz danach brach der Kontakt mit dem V-Mann ab. Am 30. April 2016 meldete sich Amri ein letztes Mal bei Cem, beschimpfte ihn aufs Übelste. Die Behörden hatten damit eine wichtige Quelle verloren. Fatal: Der Tunesier tauchte unter und bereitet seinen Anschlag vor.

Erst als er mit einem Lastwagen auf den Berliner Weihnachtsmarkt fuhr und elf Menschen ihr Leben verloren, hörte Cem wieder von Amri. Ein Polizist rief ihn an und sagte: «Es war Anis Amri.»

Der hatte sich in der Zwischenzeit über die Niederlande nach Frankreich bis nach Italien abgesetzt, versuchte, vor den Behörden zu fliehen. Am 23. Dezember starb der Tunesier im Kugelhagel mit der Polizei. (jmh)

* Name geändert

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