Euphorie an den Börsen. Weltweit legten die Aktienkurse am Freitag zu, in Frankfurt (D) um fast drei Prozent. Der Grund: In der Nacht auf Samstag billigte das Parlament in Athen neue Sparmassnahmen, vorgeschlagen von Premierminister Alexis Tsipras (40). Heute Sonntag dann sollen seine Regierung und ihre Gläubiger ein Reformpaket absegnen. Griechenland erhielte frisches Geld, bliebe liquid und zahlungsfähig. Und die Pflästerli-Politik Europas ginge weiter.
Gelingt die Einigung, verschaffen sich die Griechen ein paar Monate Luft. Damit bliebe aus, was Brüssel fürchtet: der Grexit, der Austritt Griechenlands aus dem Euro. Noch mehr Milliarden aber werden den Griechen kaum helfen, sagt Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann (49): «Es gibt kein Szenario, in dem es wirtschaftlich Sinn macht, die Griechen im Euro zu belassen.»
Nur wenn Griechenland seine Institutionen reformiere, könnte das Land auch mit dem Euro wieder wachsen. Diese Hoffnung aber sei unrealistisch. «Nur der Grexit würde Griechenland aus der Krise helfen, ein Ausstieg wäre ökonomisch für das Land das Beste», sagt Straumann. Mit dem Abschied vom Euro einhergehen müsse ein Schuldenschnitt – und die Wiedereinführung der Drachme. «Dann halte ich es für möglich, dass Griechenland aus eigener Kraft wieder in Fahrt kommt.»
Zwar gebe es Szenarien, bei denen die Griechen den Euro behalten könnten. Die Folgen wären jedoch drastisch: «Das Land entleert sich, ganze Branchen geben auf, es bleibt einzig der Tourismus», so Straumann. Ein Novum wäre das nicht. Im 19. Jahrhundert entvölkerten sich arme Täler in der Schweiz. Die Einheimischen wanderten damals aus nach Kanada, Argentinien und in die USA. «Politisch ist das nicht haltbar.»
Doch der Exodus hat bereits begonnen. Derzeit schaut ein Drittel griechischer Job-Sucher nach Stellen im Ausland, viele von ihnen in der Schweiz.
Dennoch ziert sich die EU, das Land ziehen zu lassen. Straumann hat Verständnis: «Niemand kann die Folgen eines Grexit abschätzen.» Alle hätten Angst, der Domino-Effekt der Lehman-Brothers-Pleite von 2008 könnte sich wiederholen.
Straumann erwartet bei einem Grexit einen «chaotischen Übergang, im schlimmsten Fall kommt es sogar zu einer Hyperinflation und sozialen Unruhen in Griechenland». Wichtig sei Nothilfe, «um das Land zu stabilisieren».
Sei der erste Schock überstanden, profitierten die Exporteure von der schwachen Währung – «dann zieht die Wirtschaft relativ schnell wieder an», erklärt Ökonom Straumann. «Wenn es nicht total schiefläuft, geht es den Griechen nach dem Grexit innerhalb von drei Jahren wieder deutlich besser.»
Genau das bereitet vielen in Brüssel Sorgen. «Sehen Spanier, Italiener und Portugiesen, wie sich Griechenland durch den Euro-Ausstieg gefangen hat, dann wollen sie auch raus.» Was nicht nur schlecht wäre, glaubt Straumann. Es sei denkbar, dass mehrere EU-Länder aus dem Euro aussteigen – und die Union weiter bestehen könne. «Im Norden könnte man den Euro behalten, im Süden gäbe es wieder die nationalen Währungen», sagt er. «Es entspricht der wirtschaftlichen Realität.»
Noch weiter gehen will der deutsche Linke Oskar Lafontaine (71) «Der Euro ist gescheitert», sagt er im «Spiegel». Lafontaine will «zur europäischen Währungsschlange zurückkehren».
EU-Politiker und Bürokraten wollen es nicht. Für sie ist die EU ein politisches Werk, für das der Euro zentral ist.
Ein letztes wichtiges Wort sprechen zwei Frauen: die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (60) und Christine Lagarde (59), Präsidentin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Merkel will den IWF bei neuen Zahlungen einbeziehen. Lagarde besteht auf einem Schuldenschnitt für die Griechen. Den wiederum lehnt Merkel partout ab.