Auf einen Blick
Ökonomen haben das Ampel-Aus als richtigen Schritt bezeichnet. «Die Entscheidung des Bundeskanzlers zur Beendigung dieser Regierung zu diesem Zeitpunkt ist riskant», sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher der Nachrichtenagentur Reuters. «Sie dürfte jedoch das geringere Übel im Vergleich zu einer Fortsetzung der politischen und wirtschaftlichen Paralyse sein.» Die beste Option seien jetzt baldige Neuwahlen um eine neue, handlungsfähige Bundesregierung zu finden, die sich der grossen Verantwortungen für Deutschland und für Europa stelle.
Mittwochabend hatte Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigt, Finanzminister Christian Lindner zu entlassen. Mit diesem Schritt ist die Regierung aus SPD, FDP und den Grünen am Ende. Scholz begründete den Schritt mit mehrfachem Vertrauensbruch durch Lindner.
Dieser Artikel wurde erstmals in der «Handelszeitung» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.handelszeitung.ch.
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Lindners Thesenpapier als Brandbeschleuniger
Der Bruch der Koalition hatte sich in den vergangenen Tagen abgezeichnet. Anfang November hatte Lindner ein Papier mit Vorschlägen vorgestellt, wie Deutschland aus der Wirtschaftsmisere kommen könnte. Das Papier enthält Vorschläge, die für die Koalitionspartner unannehmbar waren, wie Steuersenkungen, Kürzungen beim Bürgergeld sowie ein Ende der Förderung erneuerbare Energien.
In Berlin wurde das Papier schon als Scheidungsurkunde bezeichnet. In der Frage, wie Deutschland aus der Wirtschaftskrise heraus kommen sollen, war sich die Regierung immer uneiniger. Vereinfacht gesagt setzt Lindner auf Rezepte wie Deregulierung und Steuersenkungen. Die SPD und die Grüne dagegen wollen dagegen schuldenfinanzierte Subventionen, etwa für Investitionen.
Dafür wollen Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Grüner Wirtschaftsminister Robert Habeck die Schuldenbremsen aussetzen - auch, um neue Milliarden für Militärhilfen für die Ukraine bezahlen zu können. Für Lindner dagegen war die Einhaltung der Schuldenbremse stets Markenkern seiner Politik und damit unverhandelbar.
Scholz will die Schuldenbremse aussetzen
Mittwoch sollte eigentlich ein weiteres Krisentreffen zwischen Scholz und Lindner Möglichkeiten für eine Einigung ausloten. Dem Vernehmen nach kam Lindner aber selbst mit dem Vorschlag für Neuwahlen in das Gespräch - was im Vorfeld durchgesickert war. Lindner sollte demnach Scholz vorgeschlagen haben, noch den Haushalt für 2025 gemeinsam zu beschliessen, um dann im Frühjahr nächsten Jahres den Weg zu Neuwahlen frei zu machen. Bis dahin wollte Lindner im Amt bleiben.
Scholz dagegen wollte ein umfassendes Hilfspaket für die Wirtschaft schnüren. Dieses umfasste ein Deckeln der Kosten für überregionale Stromleitungen für Unternehmen, ein Paket zur Rettung von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie, eine Investitionsprämie und bessere steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten, um private Investitionen anzureizen sowie weitere Milliardenhilfen für die Ukraine. Um das bezahlen zu können, verlangte er die Aufhebung der Schuldenbremse. Andernfalls müsse er Lindner entlassen. Genau so kam es.
Ökonomen fordern neue Wirtschaftspolitik
Angesichts des Dauerstreits in der Regierung wird der Bruch denn auch überwiegend mit Erleichterung aufgenommen: Auch Banken-Volkswirte loben die Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz, der mit der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner am Mittwochabend das Ampel-Aus eingeleitet hat. «Das ist eine gute Nachricht für Deutschland», sagte der Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank AG, Cyrus de la Rubia. «Nur mit vorgezogenen Neuwahlen lässt sich offensichtlich der gordische Knoten, in den sich diese Regierung verwickelt hat, durchschlagen.»
Eine neue Regierung könne die veränderten Koordinaten, die sich durch die Wahlen in den USA ergeben hätten, möglicherweise besser berücksichtigen als eine mit Streit und Animositäten belastete Ampel-Koalition. «Ich bin zuversichtlich, dass eine neue Regierung – in welcher Form auch immer - die Empfehlungen der Wirtschaft aufgreift, eine wahre Wirtschaftswende durchzuführen, wozu ein massiver Ausbau der öffentlichen Investitionen gehört», sagte de la Rubia. «Das impliziert entweder eine Reform der Schuldenbremse, ihr begründetes Aussetzen oder ein neues Sondervermögen.» Eine Wirtschaftswende anzustreben, ohne die eklatante Lücke in unserem öffentlichen Kapitalstock zu finanzieren, wäre illusorisch.
«Neuwahlen sind in Anbetracht der grundlegenden Differenzen unter den Koalitionären eine gute Option für das wirtschaftlich angeschlagene Deutschland», sagte auch der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. «Gerade in Anbetracht des Machtwechsels im Weissen Haus ist es von entscheidender Bedeutung, dass Deutschland mit einer stabilen Regierung in Washington aufwartet.»
Neuwahlen im März
Wie geht es nun weiter? Scholz will erste wichtige Gesetzesvorhaben in diesem Jahr noch durch das Parlament bringen. Um da zu schaffen, ist er nun auf die Hilfe der Opposition, vor allem der CDU/CSU angewiesen. Am 15. Januar will Scholz dann die Vertrauensfrage im Parlament stellen - die er mangels eigener Mehrheit verlieren wird.
Der Bundespräsident hat dann die Wahl, Neuwahlen auszurufen oder Scholz damit zu beauftragen, eine Minderheitsregierung zu führen. Doch es gilt als sicher, dass es Neuwahlen geben wird. Diese werden dann im März stattfinden.
Aus den Neuwahlen dürfte sehr wahrscheinlich die CDU als stärkte Kraft hervorgehen. Doch auch die AfD und das linkskonservative Bündnis Sarah Wagenknecht dürften profitieren, und eine Regierungsbildung erschweren. Ob die FDP nach dem Ampel-Desaster erneut die 5-Prozent-Hürde schafft und ins Parlament einziehen kann, gilt als unsicher. Auf Basis der aktuellen Umfragen wäre eine sogenannte Grosse Koalition aus CDU und SPD das derzeit wahrscheinlichste Regierungsbündnis. Neuer Kanzler wäre dann CDU-Chef Friedrich Merz.
(Mit Material von Reuters)