Die AfD stellt erstmals in Deutschland einen Oberbürgermeister. Bei der Wahl des neuen Stadtoberhaupts im sächsischen Pirna setzte sich am Sonntag laut dem vorläufigen Ergebnis der AfD-Kandidat Tim Lochner (53) im zweiten Wahlgang gegen zwei Mitbewerber durch. Lochner erhielt demnach 38,54 Prozent der Stimmen und holte damit die nötige einfache Mehrheit. Während die AfD-Spitze das «historische Ergebnis» feierte, äusserten sich die Grünen in Sachsen «bestürzt».
Lochner ist Mitglied der AfD-Fraktion im Stadtrat, aber nicht selbst Parteimitglied. Er betreibt eine Tischlerei. Lochner trat bereits 2017 bei der Oberbürgermeisterwahl an, scheiterte damals aber klar gegen den bisherigen Amtsinhaber Klaus-Peter Hanke (parteilos), der bei der aktuellen Wahl aus Altersgründen nicht wieder antrat. Lochner setzte sich am Sonntag gegen die Kandidatin der CDU und einen Bewerber der Freien Wähler durch.
Weidel gratuliert
«Danke an die vielen Wähler, die dieses für die AfD historische Ergebnis möglich gemacht haben», schrieb die AfD-Vorsitzende Alice Weidel (44) im Onlinedienst X. Ihr Co-Vorsitzender Tino Chrupalla (48) erklärte, Lochner werde «die Interessen der Bürger von Pirna gut vertreten».
Die Grünen äusserten sich besorgt. «Die Wahl eines Bürgermeisters einer Partei, die der Verfassungsschutz vergangene Woche als rechtsextrem eingestuft hat, bestürzt uns», schrieb der sächsische Landesverband der Grünen auf X. «Wir müssen nun alles daran setzen, unser Miteinander zu festigen und Vertrauen in unsere Demokratie wieder zu stärken.»
Die Linken-Politikerin Clara Bünger (37) äusserte sich auf X schockiert: «Advent, Advent, die Demokratie brennt», schrieb sie. «Ein Oberbürgermeister, der für die in Sachsen jüngst als ‹gesichert rechtsextremistisch› eingestufte AfD angetreten ist. Alle demokratischen Parteien müssen nun gemeinsam agieren. Die Zivilgesellschaft in Pirna braucht Unterstützung.»
Verfassungsschutz ermittelt
Der sächsische Verfassungsschutz hatte die AfD im Freistaat in der vergangenen Woche als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Nach Thüringen und Sachsen-Anhalt ist die sächsische AfD bereits der dritte Landesverband mit einer solchen Einstufung.
Die Einstufung hat zur Folge, dass der Verfassungsschutz geheimdienstliche Mittel ohne Einschränkungen einsetzen kann, um Informationen über extremistische Aktivitäten des Landesverbands zu gewinnen.
CDU abgeschlagen
Lochner hatte bereits im ersten Wahlgang am 26. November mit knapp 33 Prozent die meisten Stimmen geholt. Zweitplatzierter wurde mit rund 23 Prozent Ralf Thiele von den Freien Wählern, auf dem dritten Platz lag die CDU-Kandidatin Kathrin Dollinger-Knuth mit etwa 20 Prozent. Da keiner der insgesamt fünf Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit erreichte, wurde ein zweiter Wahlgang nötig.
Zwei unterlegene Kandidaten, der Einzelbewerber André Liebscher und der von SPD und Grünen unterstützte Sozialdemokrat Ralf Wätzig, verzichteten zugunsten der CDU-Kandidatin auf eine neue Kandidatur. Auch die Linke unterstützte Dollinger-Knuth im zweiten Wahlgang. Sie kam nun mit 31,39 Prozent auf Platz zwei vor Thiele mit 30,08 Prozent.
Die Wahlbeteiligung lag am Sonntag bei 53,8 Prozent nach 50,38 Prozent im ersten Wahlgang. Die Amtszeit des Oberbürgermeisters beträgt sieben Jahre. Insgesamt waren rund 31'700 Wahlberechtigte zur Abstimmung über das neue Stadtoberhaupt aufgerufen.
Zweiter kommunaler AfD-Spitzenposten
Damit besetzt die AfD deutschlandweit nun zwei kommunale Spitzenposten. Im Juni gewann der AfD-Politiker Robert Sesselmann im thüringischen Kreis Sonneberg erstmals einen Landratsposten für die Partei.
Die AfD hatte zuvor bereits in anderen Städten versucht, ihre Kandidaten bei Oberbürgermeisterwahlen durchzusetzen. Bislang scheiterte sie aber spätestens im zweiten Wahlgang beziehungsweise in der Stichwahl.
Das südöstlich von Dresden am Rande des Elbsandsteingebirges gelegene Pirna hat rund 40'000 Einwohner. Die Stadt ist vor allem bekannt für die nahezu originalgetreu erhaltene Altstadt und ihre Nähe zum Touristengebiet Sächsische Schweiz. (AFP/kes)