Grosse Gefahr für die Sicherheit
Was über Putins geheime «Schattenflotte» bekannt ist

Finnische Ermittler untersuchen Öltanker Eagle S wegen möglicher Beschädigung eines Stromkabels in der Ostsee. Das Schiff gehört zur russischen «Schattenflotte», die Sanktionen umgeht.
Publiziert: 30.12.2024 um 06:32 Uhr
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Aktualisiert: 30.12.2024 um 09:40 Uhr
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Die Eagle S ist unter der Flagge der Cookinseln unterwegs und wurde mittlerweile an einen Ankerplatz östlich von Helsinki verlegt.
Foto: AFP

Auf einen Blick

  • Russische Schattenflotte: Gefahr für Sicherheit und Umwelt in der Ostsee
  • Verdächtige Schleifspur am Meeresboden entdeckt, Sabotage nicht ausgeschlossen
  • Hunderte Schiffe in Schattenflotte im Einsatz, laut Analyse aus Kiew
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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SDASchweizerische Depeschenagentur

Hat der Öltanker Eagle S ein Stromkabel in der Ostsee mit seinem Anker beschädigt? Und womöglich absichtlich? Seit Tagen halten finnische Ermittler das Schiff fest, um die Fragen zu klären. Inzwischen haben sie am Meeresboden eine verdächtige, kilometerlange Schleifspur entdeckt. Bundesaussenministerin Annalena Baerbock spricht von einem dringenden Weckruf und von der Notwendigkeit, kritische Infrastruktur noch stärker zu schützen. Das Schiff gehört der EU zufolge zur sogenannten russischen Schattenflotte.

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Was ist die «Schattenflotte»?

Gemeint sind Tanker und andere Frachtschiffe, die Russland benutzt, um Sanktionen infolge der Invasion in die Ukraine zu umgehen, etwa beim Öltransport. Moskau wird seit langem vorgeworfen, beim Transport und der Verschleierung seiner Exporte auf Schiffe zu setzen, die undurchsichtige Eigentümerstrukturen aufweisen und oft die Flagge wechseln, unter der sie fahren. Dazu würden Länder mit Gesetzen genutzt, die deutlich laxer seien als die im Westen. Es handelt sich um Schiffe, die nicht in der Hand westlicher Reedereien oder von westlichen Versicherungen versichert worden sind.

Experten in Moskau weisen darauf hin, dass der Begriff «Schattenflotte» ein westlicher sei, weil der Westen von seiner eigenen Rechtsprechung ausgehe und nicht immer der des Flaggenstaates. Einer Analyse der School of Economics in Kiew zufolge sollen Hunderte solcher Schiffe im Einsatz sein. Die «Schattenflotte» ist aber kein Novum, sondern schon lange durch andere vom Westen mit Sanktionen belegte Länder bekannt, darunter Venezuela oder Iran.

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Warum gelten die Schiffe als gefährlich?

Mit den Schiffen finanziere Russland seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine, kritisierte Baerbock in den Funke-Medien. Sie seien eine grosse Gefahr für die Sicherheit und die Umwelt. Auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace warnt, die Tanker seien veraltet, viele wiesen technische Mängel auf und bedrohten die Umwelt.

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War der Fall in der Ostsee Sabotage?

Das ist bisher unklar. Die Ermittler fanden aber am Meeresboden eine kilometerlange Schleifspur, wie sie am Sonntagabend mitteilten. Sie hatten das Schiff an Weihnachten geentert. Zum Zeitpunkt der Störung passierte es die Leitung Estlink 2 zwischen Finnland und Estland. Auch an Datenkabeln traten Probleme auf. Die Eagle S ist unter der Flagge der Cookinseln unterwegs und wurde mittlerweile an einen Ankerplatz östlich von Helsinki verlegt.

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Was sagt Russland zu den Vorwürfen?

Dass russische Energieunternehmen eine Schattenflotte nutzen, um etwa Öl auf den Weltmarkt zu bringen, ist auch in russischen Medien ein Thema. Offiziell äussert sich das Land aber nicht zu den Vorwürfen. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte nur, dass das Thema nicht zu den Zuständigkeiten der Präsidialverwaltung gehöre. Klar ist aber, dass Russland wegen verschiedener Embargos immer wieder Wege suchte, seine Waren trotz westlicher Strafmassnahmen zu verschiffen.

Immer wieder verwies der Kreml darauf, dass es für russische Reedereien schwer sei, etwa Versicherungen für Schiffstransporte zu finden. Auch deshalb dürfte die Schattenflotte mit undurchsichtigen Eigentumsverhältnissen bei alten Frachtern ein Weg sein, den Moskau zunehmend nutzt. Dabei verlässt sich die Rohstoffgrossmacht auch darauf, dass Sanktionen nicht allzu streng überwacht werden. Niemand habe ein Interesse, dass durch ein Fehlen des Öls aus Russland, das zu den grössten Exporteuren gehört, die Preise in die Höhe schnellen, meinen Analysten in Moskau.

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Was weiss man von den Ermittlungen bisher?

Zuletzt erschwerte schlechtes Wetter die Untersuchungen am Meeresgrund. Die Polizei befragte parallel die Crewmitglieder, hält sich aber eher bedeckt. Die Ermittler äusserten sich weder zu einem Bericht des Branchendiensts Lloyd's List, an Bord sei Spionagezubehör gefunden worden, noch zur Vermutung der Zeitung «Helsingin Sanomat», das Schiff hätte womöglich auch die andere Stromleitung Estlink1 und die Gaspipeline Balticconnector beschädigen können, die schon 2023 - höchstwahrscheinlich vom Anker eines chinesischen Containerschiffs – gekappt worden war.

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Wie reagieren andere Staaten?

Das Militärbündnis Nato kündigte eine stärkere Präsenz in der Ostsee an. Estland will die Stromleitung Estlink 1 mit Patrouillenschiffen überwachen, auch die schwedische Küstenwache nimmt den Schiffsverkehr stärker in den Blick. Die EU hatte kürzlich erneut Sanktionen angekündigt und 52 weiteren Schiffen verboten, in Häfen in der EU anzulegen. Angesichts Hunderter solcher Tanker lächelt Moskau die Initiative weg – wie andere Sanktionen auch.

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Ist die Bedrohung grösser geworden?

In letzter Zeit traten wiederholt Schäden an der Infrastruktur unter Wasser auf. Fast im Monatsrhythmus beschädigten Schiffe wichtige Kabel in der Ostsee, sagte Baerbock den Funke-Medien. Die Besatzungen würden Anker zu Wasser lassen, über den Meeresboden ziehen und beim Hochziehen verlieren. Es falle ihr mehr als schwer, da noch an Zufälle zu glauben.

Russland wiederum erinnert stets aufs Neue an die Sprengung seiner nach Deutschland verlegten Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2. Moskau beklagt, dass der «Terroranschlag» vom September 2022 noch immer nicht aufgeklärt sei – und nicht zuletzt die Bundesregierung daran kein Interesse erkennen lasse.

Angriffe in Form von Sabotage, Mordkomplotten oder Beschädigung von Infrastruktur hätten zugenommen, sagte James Appathurai, der bei der Nato unter anderem für Strategien zur Abwehr hybrider Angriffe zuständig ist und auch den Generalsekretär berät, dem Sender Sky News. Auf eine Frage zur Kriegsgefahr zwischen der Nato und Russland sagte er: «Es besteht die reale Aussicht, dass einer dieser Angriffe eine beträchtliche Zahl von Opfern oder erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursachen wird.» Darauf müsse die Nato vorbereitet sein, um zu wissen, was dann zu tun sei.

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