«Das ist mein Traum, das ist meine Obsession», sagte die Ministerin vor wenigen Wochen lächelnd in die Kameras. Für alle, die unter dem neuen britischen Premierminister Rishi Sunak eine gemässigtere Politik erwartet haben als die seiner populistischen Vorgänger, ist die Personalie Braverman ein herber Dämpfer.
Mit einem Kabinett aus Unterstützern und Vertretern anderer Parteiflügel, das einen Tag nach Sunaks Amtsantritt bereits fast vollständig ernannt ist, will der 42-Jährige sich möglichst breite Unterstützung in der tief gespaltenen Konservativen Partei sichern. Sowohl Verbündete seiner Vorgängerin Liz Truss als auch seines Vor-Vorgängers Boris Johnson sitzen mit am Kabinettstisch. Während Finanzminister Jeremy Hunt und Wirtschaftsminister Grant Shapps für Stabilität an den Finanzmärkten sorgen sollen, gelten die für ihre Lust an Kulturkämpfen bekannte Kemi Badenoch als Ministerin für Frauen und Gleichstellung sowie Braverman als Zugeständnis an die rechten Hardliner in der Partei.
Braverman war einen Tag vor dem Rücktritt von Truss aus deren Kabinett ausgeschieden, nachdem sie entgegen der ministeriellen Regeln ein offizielles Dokument mit ihrer privaten E-Mail-Adresse weitergeleitet hatte. Sunak versprach nach seinem Amtsantritt am Dienstag, die Regierung mit Integrität und Professionalität anführen zu wollen. «Vertrauen muss verdient werden, und ich werde mir Ihr Vertrauen verdienen», sagte er in seinen ersten Worten an die Nation.
Die Vizechefin der oppositionellen Labour-Partei, Angela Rayner, kritisierte: «Der neue Premier stellt seine Parteiführung über das Regieren im nationalen Interesse, auch wenn er dafür eine Innenministerin einstellt, die erst letzte Woche wegen eines Bruchs der Sicherheitsregeln zurücktreten musste.» Auf Antrag von Labour sollte sich Braverman noch am Mittwoch im Parlament zu ihrem vorübergehenden Rücktritt äussern, die Partei fordert zudem - wie auch die Liberaldemokraten - eine unabhängige Untersuchung der Ernennung.
Während die Einbeziehung aller Lager ins Kabinett als kluger Schachzug Sunaks gilt, um rebellierende Hinterbänkler in Schach zu halten, gibt es Zweifel an der Kompetenz einiger Kandidaten. Das Boulevardblatt «Daily Star» titelte über Vizepremier Dominic Raab: «Mann ohne Gehirn kehrt zurück». Raab war einst als Aussenminister heftig umstritten wegen seiner Rolle beim Afghanistan-Abzug und hatte später als Justizminister kontroverse Gesetze auf den Weg gebracht. Auch die Ernennung von Gavin Williamson, der als Bildungsminister unter Johnson als Totalausfall galt, sorgt für Stirnrunzeln.
Die renommierte britische Menschenrechtsanwältin Jessica Simor twitterte, ein kurzer «Moment der Hoffnung» liege schon wieder in Trümmern. «Sie zerstören alles, was in diesem Land gut ist und machen alles, das schlecht ist, noch schlimmer», schrieb die Anwältin mit Blick auf die seit zwölf Jahren in Grossbritannien regierenden Tories. In der «Sun» kritisierte ein Beobachter zudem, der Premier habe nur rund ein Viertel der Posten an Frauen vergeben.
In Brüssel hofft man darauf, dass mit Sunak ein verlässlicherer Partner in die Downing Street einzieht als seine Vorgänger Truss und Johnson. «In diesen schwierigen Zeiten für unseren Kontinent zählen wir auf eine starke Beziehung zum Vereinigten Königreich», sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Mit der Gestaltung seiner Regierung macht Sunak allerdings klar, dass er zwar dem Wirtschaftschaos ein Ende bereiten, aber dennoch am zuletzt eingeschlagenen rechtskonservativen Kurs der Tories festhalten wird. In dem auch von ihm unterstützten Ruanda-Pakt zur Deportation Asylsuchender aus verschiedenen Ländern, der derzeit gerichtlich geprüft wird, sehen viele einen Bruch internationalen Völkerrechts. Auch dass der überzeugte Brexiteer beim Streit mit Brüssel über Brexit-Regeln für Nordirland einen weniger konfrontativen Kurs einschlagen wird, gilt nicht als gesetzt.
(SDA)