Gräueltaten im Krieg
Russische Truppen foltern Zivilisten in Borodjanka

Nach Butscha dürfte Borodjanka das nächste grausame Mahnmal des Kriegs werden. Die Uno geht davon aus, dass Russland mit Streumunition auf Wohnungen schoss. Mittlerweile sind erste Reporter vor Ort und sprechen mit Menschen, die dem Tod ins Auge geblickt haben.
Publiziert: 06.04.2022 um 08:42 Uhr
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Aktualisiert: 06.04.2022 um 09:00 Uhr
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Die Einwohner von Borodjanka bekamen die Brutalität der russischen Armee mit voller Härte zu spüren.
Foto: Anadolu Agency via Getty Images

Während die Gräueltaten von Butscha noch lange nicht aufgeklärt sind, gelangen weitere schreckliche Nachrichten aus der Ukraine an die Öffentlichkeit. Da sich die Russen aus Kiew und den angrenzenden Gebieten zurückgezogen haben, haben die Menschen nun die Möglichkeit zu sehen, was dort angerichtet wurde. Und was in Borodjanka passiert ist, könnte sogar noch schlimmer sein als Butscha.

Borodjanka liegt rund 23 Kilometer von Butscha entfernt. Laut der ukrainischen Staatsanwältin Irina Wenediktowa (43) könnte die Zahl der Todesopfer dort höher sein als irgendwo sonst, wie sie diese Woche sagte. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) sagte am Montag dasselbe. Nun sind Journalisten in die 13'000-Einwohner-Stadt vorgedrungen und berichten, was sie gesehen haben.

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«Das ist eine Schätzung»

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Während in Butscha öffentliche Hinrichtungen vorgenommen wurden, scheinen in Borodjanka Raketen, die auf Wohnungen und Häuser von Zivilisten abgeschossen wurden, das grösste Übel zu sein. Dies jedenfalls das erste Fazit der Reporter verschiedener Medien, die mit Menschen sprachen, die in den Trümmern zerstörter Gebäude nach ihren Angehörigen suchen.

Darunter Georgii Yerko, amtierender Bürgermeister der Stadt. Er sagt der «New York Times»: «Wir denken, über 200 Menschen sind gestorben. Aber das ist eine Schätzung.»

Was sonst in Wohnungen steht, liegt auf der Strasse

Er sagt weiter, derzeit habe man drei Prioritäten: Die Stromversorgung wiederherzustellen, von der man seit Wochen abgeschnitten sei, die nicht explodierte Munition zu entfernen und danach die Trümmer wegzuräumen.

«Die Zerstörung ist da, so weit das Auge reicht», schreibt die Nachrichtenagentur AFP. Sie berichtet von einer zerfetzten Stadt, die nicht mehr wiederzuerkennen sei. Was sonst in Wohnungen stehen würde – Kühlschränke, Teppiche, Kinderspielzeug – sei auf den Strassen verstreut.

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Über Nacht an Panzer festgebunden

Der «Guardian», der ebenfalls in Borodjanka ist, interviewte einen Mann, der aussagt, gefangen genommen und drei Tage und Nächte lang gefoltert worden zu sein.

Grund für die Festnahme sei ein Verstoss gegen die Ausgangssperre gewesen. Man habe ihn dann in einen Wald gebracht und mit einem Seil auf der Rückseite eines Panzers festgebunden. Die Soldaten liessen den Motor an, sodass er für 30 Minuten genau ins Auspuffrohr geatmet habe. Danach sei der Motor ausgeschaltet worden und er die ganze Nacht in der Stellung zurückgelassen worden.

«Ich bin es leid, sie zu begraben»

Am Morgen darauf habe er gehört, wie die Russen einen zweiten Gefangenen brachten, der den Soldaten Informationen zuflüsterte, offenbar in dem Bemühen, freigelassen zu werden. Vergebens. Die beiden Gefangenen seien auf den Panzer geladen und eine Stunde lang gefahren worden. Dann habe sie ein anderer Russe in Empfang genommen und zu seinem Kollegen gesagt: «Hast du wieder Gefangene mitgebracht. Ich bin es leid, sie in der Erde zu begraben.»

Der Mann erzählt dem «Guardian», dass er anschliessend gezwungen worden sei, sich stundenlang in den Schlamm zu legen. Danach sei er in eine Grube gestossen worden. Er dachte, das werde sein Grab. Es seien weitere Stunden vergangen, in denen er so dalag, bis sie ihn schliesslich aufluden und an einen anderen Ort brachten. Mehrmals sei er in den nächsten Tagen verhört worden, bis er schliesslich freigelassen worden sei.

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Uno sagt, Russen setzten Streumunition ein

Rosemary DiCarlo (75), verantwortlich bei der Uno für politische und friedensstiftende Missionen, sagte am Dienstag vor dem Uno-Sicherheitsrat, explosive Waffen hätten Tod und Zerstörung in vielen bevölkerten Gebieten gebracht. Spitäler, Wohnhäuser, Schulen, Elektrizitätswerke und Wasser-Anlagen seien zerstört worden.

Den Vereinten Nationen lägen glaubwürdige Anschuldigungen vor, dass Russland mindestens 24 Mal Streumunition – verbotene Waffen, die kleine explosive Minen über einen grossen Bereich verstreuen – in bewohnten Gebieten eingesetzt habe, sagte DiCarlo. Sie fügte hinzu, dass es Anschuldigungen gebe, dass die ukrainischen Streitkräfte ebenfalls Streumunition eingesetzt hätten.

Russland hat sich bisher nicht zu Borodjanka geäussert. Bei Butscha behauptet Wladimir Putin (69), nichts damit zu tun zu haben.

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