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BLICK traf die Frau, die die Brexit-Pläne stoppte
«Johnson fehlt es an Ehrlichkeit»

Sie ist Boris Johnsons Albtraum: Gina Miller (54) hält den britischen Premierminister beim Brexit mit Klagen an der kurzen Leine. BLICK verrät sie, was sie an der Schweiz fasziniert und warum sie trotz Todesdrohungen unverdrossen weiterkämpft.
Publiziert: 17.11.2019 um 23:12 Uhr
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Aktualisiert: 20.12.2019 um 12:44 Uhr
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Kämpft seit 30 Jahren für mehr Demokratie in Grossbritannien: Gina Miller.
Foto: DUKAS
Interview: Guido Felder, London

Gina Miller (54) spielt beim Brexit eine der wichtigsten Rollen. Sie hat mit Klagen dafür gesorgt, dass die britische Regierung den Ausstieg aus der EU nicht im Alleingang durchziehen kann, sondern das Parlament miteinbezogen wird. BLICK traf die Politaktivistin in ihrem Büro in der Nähe des Piccadilly Circus in London. Für sie ist klar: Auch nach Todesdrohungen führt sie ihren Kampf für mehr Demokratie in Grossbritannien weiter. Erst recht!

BLICK: Frau Miller, der Brexit ist schon mehrere Male verschoben worden. Wird Grossbritannien die EU überhaupt je verlassen?
Gina Miller:
Das hängt von den Neuwahlen am 12. Dezember ab. Wenn es zu einer konservativen Regierung kommt, wie die Umfragen im Moment voraussagen, findet der Austritt ohne Zweifel bis Ende 2020 statt. Wenn die Konservativen verlieren und die Labour mit einer anderen Partei eine Koalition schmiedet, rechne ich mit neuen Verhandlungen mit der EU über einen neuen Austrittsvertrag mit Anschlusslösung. Auch eine neue Brexit-Abstimmung stünde dann wieder zur Diskussion.

Würden Sie denn eine neue Volksabstimmung über den Brexit befürworten? Ist es legitim, einfach eine Abstimmung zu wiederholen, weil einem das Resultat nicht passt?
Ja. Seit drei Jahren bemühen sich die Politiker, den Brexit durchzuziehen. Es hat sich gezeigt, dass viele bei der Abstimmung 2016 gar nicht begriffen haben, worum es ging. Heute würde eine klare Mehrheit für den Verbleib stimmen.

Wen werden Sie am 12. Dezember wählen?
Ich wähle taktisch so, dass es Boris Johnson am meisten schadet und es zu einer zweiten Abstimmung kommt. Je nach dem Resultat der letzten Umfragen vor den Wahlen werden es Labour oder die Liberaldemokraten sein.

Johnsons Albtraum

Gina Miller (54) spielt beim Brexit eine der zentralsten Rollen. 2016 hat sie mit einer Klage bewirkt, dass das Parlament überhaupt in den Brexit-Prozess miteinbezogen wurde und die Regierung die Verhandlungen mit der EU nicht im Alleingang durchziehen kann. Im September dieses Jahres klagte Miller wieder, diesmal gegen den Entscheid von Premierminister Boris Johnson (55), der das Parlament fünf Wochen lang beurlauben wollte. Das Gericht gab ihr erneut recht.

Der Streit um den Brexit hat dazu geführt, dass am 12. Dezember in Grossbritannien Neuwahlen stattfinden. Miller ruft die Briten auf der Plattform «Remain United» auf, taktisch zu wählen, um Johnson zu verhindern.

Miller, deren Wurzeln in Guyana sind, arbeitet als Vermögensverwalterin. Ihre Kollegen in London nennen sie wegen ihres Kampfes gegen zu hohe versteckte Gebühren bei Investmentfonds «Schwarze Witwe». Sie lebt in dritter Ehe mit Alan Miller zusammen, mit dem sie zwei Kinder hat. Ein weiteres stammt aus erster Ehe. 2017 wurde sie von «Powerlist» zur «einflussreichsten schwarzen Person Grossbritanniens» ernannt. Guido Felder

Gina Miller (54) spielt beim Brexit eine der zentralsten Rollen. 2016 hat sie mit einer Klage bewirkt, dass das Parlament überhaupt in den Brexit-Prozess miteinbezogen wurde und die Regierung die Verhandlungen mit der EU nicht im Alleingang durchziehen kann. Im September dieses Jahres klagte Miller wieder, diesmal gegen den Entscheid von Premierminister Boris Johnson (55), der das Parlament fünf Wochen lang beurlauben wollte. Das Gericht gab ihr erneut recht.

Der Streit um den Brexit hat dazu geführt, dass am 12. Dezember in Grossbritannien Neuwahlen stattfinden. Miller ruft die Briten auf der Plattform «Remain United» auf, taktisch zu wählen, um Johnson zu verhindern.

Miller, deren Wurzeln in Guyana sind, arbeitet als Vermögensverwalterin. Ihre Kollegen in London nennen sie wegen ihres Kampfes gegen zu hohe versteckte Gebühren bei Investmentfonds «Schwarze Witwe». Sie lebt in dritter Ehe mit Alan Miller zusammen, mit dem sie zwei Kinder hat. Ein weiteres stammt aus erster Ehe. 2017 wurde sie von «Powerlist» zur «einflussreichsten schwarzen Person Grossbritanniens» ernannt. Guido Felder

Sind Sie selber in einer Partei?
Ich war bei Labour, trat aber 2016 aus, als die Partei mit antisemitischen Schlagzeilen von sich reden machte. Mein Mann ist jüdisch.

Woran liegt es, dass die stolze Demokratie Grossbritannien an der Umsetzung eines Volksbeschlusses derart scheitert?
Es liegt hauptsächlich an unseren Politikern. Wir haben viele Profipolitiker, denen es nur um Karriere und Macht geht und die nie einen anderen Job ausübten. Auch die Chefs der beiden grössten Parteien, Jeremy Corbyn von Labour und Boris Johnson von den Konservativen, waren praktisch ihr Leben lang Politiker von Beruf. Es fehlt an Leuten, die den Puls der Bevölkerung spüren und auf sie eingehen. Kommt dazu, dass es Politiker gibt, die ihr eigenes Scheitern immer wieder auf die EU abschieben.

Warum setzen Sie sich unermüdlich für das Thema Brexit ein?
Ich versuche zu verhindern, dass sich eine Handvoll Mitglieder der Regierung immer mehr Macht zuschanzt, so wie es Johnson auch während der Brexit-Diskussionen machte. Das Volk muss mehr Mitspracherecht haben, es braucht auch bei uns mehr Föderalismus – wie in der Schweiz. Dafür kämpfe ich nicht erst seit dem Thema Brexit, ich bin schon seit 30 Jahren eine politische Aktivistin.

Was halten Sie von Johnson als Premierminister?
Wenn er in meiner Firma arbeiten würde, hätte ich ihn in der ersten Woche entlassen. Man kann an einer so verantwortungsvollen Stelle keine Person brauchen, der es an Ehrlichkeit und Integrität mangelt und die nicht bereit ist, hart zu arbeiten. Seine einzige Fähigkeit ist, dass er die richtigen Leute um sich herum scharen kann.

Wer wäre ein guter Premier für Grossbritannien?
Wir haben ein grosses Problem: Es fehlt an guten Nachwuchspolitikern. Ich könnte zurzeit keinen Namen nennen.

War Theresa May gut?
Auf jeden Fall viel besser als Johnson. Sie hat sehr hart und seriös gearbeitet, aber ihr fehlte die soziale Kompetenz. Für dieses Amt braucht es beides.

Was glauben Sie: Wie wird sich Grossbritannien nach einem Brexit entwickeln?
Es wird sich sehr stark verändern. Wir müssen einen Weg finden, wie wir wirtschaftlich überleben können. Ich habe meine Firma bereits zur Sicherheit in Luxemburg registrieren lassen. Ich bin sehr besorgt!

Nicht alle Länder des Königreichs wollen die EU verlassen. Wird Grossbritannien durch den Brexit zerbrechen?
Der Brexit wäre der Anfang des Endes unseres Königreichs. Bereits redet man von einer sogenannten Arch-Union, einem Zusammenschluss von Schottland, Wales und Nordirland, die sich wie ein Bogen um England formieren – mit dem Ziel, in der EU zu bleiben. Dann wäre England am Schluss das einzige Land, das nicht mehr zur EU gehört.

Welchen Einfluss wird der Brexit auf Europa haben?
Wenn Grossbritannien ohne Deal aussteigt, wird auch die EU Schaden nehmen. Die Briten sind nicht nur eine wirtschaftliche Macht, sie haben auch beim Thema Sicherheit einen grossen Einfluss. Viele wichtige Entscheidungen sind zudem von den europäischen Schwergewichten Deutschland, Frankreich und Grossbritannien gefällt worden. Auf einmal würde auch hier ein Vakuum entstehen.

Kennen Sie eigentlich die Schweiz?
Ja, im Sommer, wenn es heiss ist, reisen wir manchmal an den Genfersee. Auch Bern kenne ich von Geschäftsreisen.

Was halten Sie vom politischen System der Schweiz?
Es gibt vor allem zwei Dinge, die mir imponieren: die jährliche Neuwahl des Bundespräsidenten und der Einbezug des Volkes. Die Macht wird so gut wie möglich verteilt.

Die Schweiz war schon immer da, wo eine Mehrheit der Briten hingehen möchte: ausserhalb der EU. Was sagen Sie zum Alleingang der Schweiz?
Das ist ganz allein Sache der Schweizer. Wenn man aber in die Zukunft schaut und sieht, welche Herausforderungen auf einen zukommen – ich rede von Migration, Klima, Krankheiten, Terror –, ist es von Vorteil, wenn man als Einheit reagieren kann.

Welche Rolle sollte die Schweiz in Europa spielen?
Im Zuge der EU-Reform redet man ja auch von einem Europa der zwei Geschwindigkeiten, bei dem die einen Mitgliedstaaten eine verstärkte und die anderen eine lose Zusammenarbeit pflegen. Gerade bei den Ländern der zweiten Kategorie könnte sich die Schweiz Freunde schaffen, wodurch ihr Stellenwert und Einfluss innerhalb der EU erhöht würde. Möglicherweise kommt es auch zu neuen Deals zwischen der Schweiz und Grossbritannien – etwa dann, wenn die EU die britische Börse nicht mehr anerkennen sollte.

Warum lassen Sie sich nicht selber in die Politik wählen?
Weil man als Parteimitglied stark eingebunden ist und ich weiterhin grosse Themen ansprechen will. Als politische Aktivistin muss ich niemandem gefallen.

Mit Ihrem Engagement schaffen Sie sich viele Feinde. Werden Sie immer noch mit dem Tod bedroht?
Regelmässig. In den vergangenen Tagen wurde auf der Crowdfunding-Plattform GoFundMe dazu aufgerufen, 10’000 Britische Pfund zu sammeln, um einen Auftragsmörder anzuheuern und auf mich anzusetzen. Ich erhalte auch Briefe, in denen steht, dass ich meine Kinder hätte abtreiben sollen.

Wie schützen Sie sich?
Ich habe inzwischen ein sehr ausgeklügeltes Alarmsystem zu Hause. An einen spontanen Ausgang mit der Familie ist nicht mehr zu denken, ich muss alles planen. Das Schlimmste ist, dass ich ständig in Alarmbereitschaft bin. Ich kann nie abschalten. Wir bezogen im September neue Büros – bewusst in der Gegend mit der grössten Kameradichte Londons.

Zermürben Sie diese Angriffe nicht? Warum machen Sie weiter?
Mein ganzes Leben hat sich verändert. Aber die Reaktionen treiben mich auch an. Mit dem Profil, das ich mir zugelegt habe, trage ich eine grosse Verantwortung, die ich nicht einfach ablegen kann.

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