Gestern fällte der Londoner High Court einen bedeutenden Entscheid: Ohne Zustimmung des britischen Parlaments kann die britische Regierung den Austrittsprozess aus der EU nicht in Gang setzen. Das ist ein harter Rückschlag für die Pläne der Premierministerin Theresa May und für das Lager der Brexit-Befürworter (51,9% sagten im Juni Ja). Hinter dem Urteil steckte als Hauptklägerin die Britin Gina Miller – die jetzt wohl meist gehasste Frau ganz Britanniens.
Im Interview mit dem «Guardian» gab Miller zu, dass sie mit einer Empörungswelle gerechnet habe. Aber sie betont: «Ich hatte immer das Gefühl und habe es immer noch, dass wir in der EU bleiben sollten, um sie von innen zu reformieren.» Und: «Grossbritannien hat eine sehr mächtige Stellung in Europa. Doch mit dem Austritt haben wir nicht nur uns selbst, sondern ganz Europa im Stich gelassen.»
«Ich konnte mit der bangen Frage nicht ins Bett gehen»
Ursprünglich kommt die 51-jährige Miller aus dem südamerikanischen Guyana, aufgewachsen ist sie in Grossbritannien. Privat führt Miller eine Firma für Vermögensverwaltung. Auch in ihrem beruflichen Umfeld hat sie sich bereits engagiert: Mit einer langjährigen Kampagne kämpfte sie für mehr Transparenz im Investmentbereich und bei den Pensionskassen.
Nach dem Brexit-Votum spürte sie die innere Pflicht, etwas zu unternehmen: «Ich konnte einfach nicht jeden Tag mit der bangen Frage zu Bett gehen, was diese Entscheidung für meine Kinder und für uns alle bedeuten würde.»
Also nahm sie Geld in die Hand und beauftragte die Londoner Anwaltskanzlei Mishcon de Reya mit der Anfertigung einer Klage. Der Austritt aus der EU beraube sie eines Teils ihrer bürgerlichen Rechte. Das rechtlich nicht bindende EU-Referendum reiche deshalb nicht als Grundlage für die Auslösung des Austrittsprozesses.
Mord- und Vergewaltigungsdrohungen
Nach dem Urteil erntete Miller vor allem eins: Entrüstung. Wie oben zu sehen ist, landete ihr Gesicht auf der heutigen Titelseite des britischen Revolverblatts «The Sun». Darüber in grossen Lettern: «Was denkst du eigentlich, wer du bist?». Auf Facebook erhielt sie auch Mord- und Vergewaltigungsdrohungen.
Für die britische Regierung gibt es noch eine Möglichkeit, einer schwierigen und langwierigen Parlamentsdebatte zu entgehen: May kann das Urteil noch an den letztinstanzlichen Supreme Court weiterziehen.
Gina Miller lässt sich von den hochgeschaukelten Emotionen nicht beirren. Sie hält fest: «Es muss eine Debatte in unserem souveränen Parlament geben. Es ist die Mutter aller Parlamente und wir werden dafür bewundert.» (pfc)