Nach der Annexion der Krim wurde der russische Präsident Wladimir Putin vom Westen sozusagen geächtet. Der G8-Gipfel wurde kurzerhand zum G7 – ohne Russland. Sanktionen sollten Putin zum Einlenken bewegen. Nur widerwillig akzeptierte man eine Beteiligung des Landes an den Vereinbarungen zur Umsetzung des Minsker Abkommens über die Zukunft der Ukraine im Februar. Die Mitarbeit am Atom-Deal mit dem Iran akzeptierte der Westen nur, weil es anders nicht ging.
Jetzt hat Putin die Bühne der 70. Uno-Generalversammlung für einen grossangelegten PR-Gegenangriff genutzt und sich auf Kosten von US-Präsident Barack Obama als Verhandlungspartner zurück ins Gespräch gebracht. Anlässlich der Vollversammlung kam es auch zu einem ersten Treffen seit zwei Jahren zwischen Obama und Putin.
Die Staatschefs hielten beide eine Rede am Uno-Hauptsitz. Zuerst war Obama dran. Putin war zu diesem Zeitpunkt noch unterwegs und trat erst später ans Rednerpult. Die beiden trafen sich mit Uno-Generalsekretär Ban Ki-Moon und anderen Staatschefs zum Mittagessen. Im Anschluss kam es zu einem anderthalbstündigen direkten Gespräch zwischen dem amerikanischen und dem russischen Präsidenten.
Auftreten und Körpersprache
Putin gab sich betont freundlich, aber bestimmt. Beim Mittagessen etwa setzte sich Ban zwischen die beiden Staatsoberhäupter. Als sich Ban zwecks Ansprache erhob, fanden sich Obama und Putin plötzlich Seite an Seite mit Champagnerglas in der Hand. Es liess sich kaum vermeiden: Die Erzfeinde mussten Anstossen! Während Obama dabei keine Miene verzog, lag Putin ein Lächeln auf den Lippen. Ein verkrampftes zwar, aber er lächelte.
Auch beim gemeinsamen Posieren vor den Medien demonstrierte der russische Präsident Überlegenheit. Als Obama ihm zum obligaten Handshake vor den Fahnen der beiden Länder die Hand hinstreckte, zögerte Putin kurz und schaute sein Gegenüber nur herausfordernd an. Als wollte er sagen: «Willst du dem Bösewicht jetzt allen Ernstes die Hand reichen?» Schliesslich kam es natürlich trotzdem zu einem kurzen Händedruck.
Syrien-Strategie
Eines der wichtigsten Themen bei den Gesprächen zwischen Obama und Putin war der Krieg in Syrien. Die beiden haben das Heu dabei nicht auf der gleichen Bühne: Obama will den syrischen Diktator Baschar al-Assad stürzen. Putin stützt ihn. Einig sind Obama und Putin nur darin, dass Terroristen bekämpft werden müssen. Immerhin: Putin bezeichnete das Treffen vor den Medien als «sehr nützlich und offen». «Wir haben viele Gemeinsamkeiten gefunden, aber es gibt auch viele Differenzen», sagte er. Im Umfeld von Obama war von einem «sachlichen Gespräch» die Rede.
Während Obamas Strategie, in Syrien zugleich Machthaber Assad und den Terrorismus zu bekämpfen, bisher komplett erfolglos verlaufen ist, ist Putin überzeugt: Die Terroristen lassen sich nur mit Hilfe seines Verbündeten Assad besiegen. Mit einer demonstrativen Erhöhung der Militärpräsenz in Syrien führt Putin Obama vor und versucht den USA klarzumachen, dass Russland in Syrien seine eigene, seiner Ansicht nach erfolgsversprechende Strategie verfolgt – ob die USA nun mitmachen oder nicht.
Nach Druck aus Westeuropa, das einen nie dagewesenen Flüchtlingsstrom aus Syrien zu bewältigen hat, scheinen sich die Positionen der USA und Russlands in Sachen Syrien vorsichtig anzunähern. Beide sind sich inzwischen einig, dass zur Beendigung des Bürgerkriegs eine politische Lösung gefunden werden muss.
Putin brachte unlängst einen Vorschlag ins Spiel, parallel zum gemeinsamen Kampf mit Assad gegen den Terrorismus auch Vorbereitungen für einen politischen Wandel in Syrien zu treffen. Letztendlich sei es aber am syrischen Volk, das Schicksal ihres Landes zu bestimmen, betonte er gestern.
In US-Regierungskreisen heisst es nun, Obama und Putin hätten Gespräche zwischen ihren Streitkräften vereinbart, um Konflikten der jeweiligen Militäroperationen in Syrien vorzubeugen.
Mangelnde Erfolge im Kampf gegen den IS
Im Zusammenhang mit dem Umgang der USA mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien und Irak erhob Putin bei seiner Rede vor der Uno-Vollversammlung schwere Vorwürfe: In den IS-Rängen würden sich zahlreiche Mitglieder der ehemaligen irakischen Armee befinden, die von den USA nach der Invasion von 2003 von ihren Positionen verjagt worden seien. Auch «sogenannte moderate Oppositionelle» hätten sich auf die Seite des IS geschlagen. Putin: «Zuerst werden sie bewaffnet und trainiert, dann laufen sie zum Islamischen Staat über.»
Dass man mit der Bewaffnung der syrischen Rebellen teilweise die falschen Leute unterstützte, mussten im letzten Jahr selbst die ehemalige US-Aussenministerin Hillary Clinton und ein hoher US-General eingestehen. Zudem verschliefen die US-Geheimdienste den rasanten Aufstieg der IS-Terrorbanden. Die Anti-IS-Koalition um die USA hat sich zwar die Vernichtung der Islamisten aufs Banner geschrieben, kann bisher aber keine nennenswerten Erfolge vorweisen.
Putin stellt den Westen vor vollendete Tatsachen: Gestern gab er in New York die Gründung eines gemeinsamen Anti-Terror-Informationszentrums durch Russland, Syrien, Irak und Iran mit Sitz in Bagdad bekannt. Das Hauptquartier stehe allen offen, die sich am Kampf gegen den Terrorismus beteiligen wollten, betonte er.
Das Wachstum des IS sei eine Gefahr für alle Nationen, sagte Putin gestern vor der Uno-Vollversammlung. Auch für Russland. Deshalb müsse eine internationale Partnerschaft, «ähnlich wie die Anti-Hitler-Koalition», eingegangen werden, um die Terroristen zu bekämpfen.