Nach Schüssen auf einem Werksgelände von Mercedes-Benz im südwestdeutschen Sindelfingen sind zwei Menschen gestorben. Das sagte ein Sprecher der Polizei der Deutschen Presse-Agentur. Bei den beiden Opfern handelt sich um zwei 44 Jahre alte Mitarbeiter türkischer Herkunft des Logistikdienstleisters Rhenus. Auch der Täter (53) war dort angestellt. Die Schüsse richteten sich laut einem Bericht von «Bild» gezielt gegen Vorarbeiter.
Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft geht von einem Einzeltäter aus. Ein 53-jähriger Mann sei festgenommen worden. Er soll ebenfalls ein Türke sein. Weitere Details zu der Tat am Donnerstagmorgen auf dem Werksgelände bei der Halle 56 oder zum Verdächtigen will die Staatsanwaltschaft vorerst nicht nennen. Der Haftrichter erliess noch am Nachmittag Haftbefehl wegen Totschlags in zwei Fällen, wie Staatsanwaltschaft und Polizei bekannt gaben.
«Ich habe die Schüsse gehört, dachte, dass eine Palette runtergefallen ist. Dann kam jemand aufgeregt angerannt und erzählte, dass geschossen worden sei. Wir mussten alle raus und die Firma hat uns heimgeschickt», sagte eine Mitarbeiterin der «Bild»-Zeitung. Einen Kollegen des Tatverdächtigen zitierte das Blatt so: «Der Typ soll sein ganzes Magazin leer gefeuert haben. Er ist noch nicht lange bei uns, höchstens ein Jahr.»
Türkische Medien berichteten, der Anlass für die Tat sollen Streitigkeiten zwischen Anhängern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (69) und seinem Konkurrenten Kemal Kılıcdaroglu (74) gewesen sein. Laut übereinstimmenden Medienberichten soll es sich bei dem Tatverdächtigen um einen Anhänger der Oppositionspartei CHP handeln. Die Opfer waren demnach Fans von Erdogan. Dass es immer wieder zum Streit gekommen ist, bestätigten mehrere Mitarbeiter gegenüber «Der Westen». «Wir können ein politisches Motiv zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschliessen», heisst es vonseiten der Staatsanwaltschaft. Es werde zurzeit in alle Richtungen ermittelt.
Viele Mitarbeiter nach Hause geschickt
Tiefe Betroffenheit herrscht unter den dortigen Mitarbeitern. Eine grosse Zahl wurde nach einer ersten Betreuung im Werk am Donnerstagmorgen nach Hause geschickt, berichtete ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur vor Ort. Der Werksschutz überwältigte den Tatverdächtigen, der sich dann von der Polizei widerstandslos festnehmen liess.
Die mutmassliche Tatwaffe wurde sichergestellt, sagt ein Pressesprecher der zuständigen Polizei Ludwigsburg. Er habe keine Informationen, um was für eine Waffe genau es sich handelt. Der festgenommene Verdächtige solle zu Tat und Motiv vernommen werden. Zudem fänden zahlreiche Befragungen von Zeugen statt. Die Kriminalpolizei habe die Ermittlungen übernommen.
«Mulmiges Gefühl»
Viele Fragen sind noch offen – etwa, wie die Waffe auf das Werksgelände gelangte. «Ich hoffe mal, dass sie vielleicht ein bisschen mehr Kontrollen machen. Wenn man so einfach Waffen da reinkriegt, das kann ja auch mal einen von uns treffen», sagte ein Mercedes-Mitarbeiter und berichtete vor seinem Schichtbeginn von einem «mulmigen Gefühl».
Der Polizei zufolge besteht keine Gefahr mehr für die Mitarbeitenden im Werk. Am Donnerstagmorgen gegen 7.45 Uhr gingen die ersten Notrufe bei der Polizei ein, wie eine Polizeisprecherin bestätigt.
Traditionsreiches Werk in Sindelfingen
Mercedes-Benz äusserte sich «zutiefst bestürzt und geschockt» über die Tat. «Unsere Gedanken sind bei den Opfern, ihren Angehörigen und allen Kolleginnen und Kollegen vor Ort», sagte ein Unternehmenssprecher.
«Momentan läuft das Band nicht wie normal weiter», ergänzte der Mercedes-Sprecher. Wann die Halle wieder freigegeben und dort weiter produziert werden könne, sei noch in Klärung.
Sindelfingen liegt etwa 15 Kilometer südwestlich der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart. Das dortige Werk von Mercedes-Benz ist mit einer mehr als hundertjährigen Geschichte das traditionsreichste des Konzerns. (SDA/noo/nad)