Von den Videoaufnahmen weiss man dank eines neuen Buches, das der Hamburger Autor und ehemalige Kriminalbeamte Peter Reichard herausgegeben hat.
Für sein neues Buch «Das Entführungsprotokoll Natascha Kampusch. Die ganze beschämende Wahrheit» durfte der Autor die Kassetten sichten und das Material auswerten.
Laut seinen Darstellungen stiess die Wiener Polizei bei der Durchsuchung des Hauses von Wolfgang Priklopil (†44) nach dessen Suizid im August 2006 auf mehrere Videokassetten.
Auf den Aufnahmen sei zu sehen, wie der Entführer das Mädchen die Treppen rauf und runter scheucht, oder es bis zur Erschöpfung Kniebeugen und Kopfstände machen lässt.
Priklopil sage auf den Aufnahmen: «Demütig gehorchen. Immer lieb sein. Immer lieb gehorchen. Demütig sein.» Er bezeichne Natascha Kampusch öfters auch als «fett».
Die Zeitung «Welt» hat mehrere Dialoge veröffentlicht. Beispiele:
«Stell den Teller ordentlich ab. Abspülen! Die Eier!», befiehlt er. Sie hat Schnupfen, ihre Nase läuft. «Stopf die Nosn mit den Fingern zua. Rechts eine, links ausse.» Sie bittet um ein Taschentuch. Er geht nicht darauf ein. Sie setzt sich und isst einen Teller mit Milch und Joghurt und abgezählten Körnern. Sagt etwas. «Red net so vül beim Essen. Das Essen muss man essen», belehrt er sie. Es klingelt an der Tür. Er reagiert nicht. Sie löffelt den Teller leer.
Das Zusammenleben ist geprägt von Machtspielchen: Priklopil stellt dem Mädchen Schulaufgaben, korrigiert sie, streicht absichtlich Fehler an, wo keine sind.
Ihre letzte gemeinsame Weihnachten feierten sie 2005. An Heiligabend filmt er Kampusch, wie sie den geschmückten Baum bewundert, und fordert sie auf, ein Weihnachtslied zu singen.
Absurd: Nur einen Tag später sitzt er an derselben Stelle mit seiner Mutter und Grossmutter, während sie in ihrem Kellerverlies hockt – vor einem Plastiktannenbaum.
Das Material ist noch streng unter Verschluss. Die mittlerweile 28-jährige Kampusch soll aber ihre Zustimmung, das Material zu veröffentlichen, gegeben haben.
Die Inhalte des Videos widerlegen laut Reichard alle bisher aufgetauchten Verschwörungstheorien. Mutmassungen wie der Dreh von Sexvideos oder Aufnahmen von Sadomaso- und Vergewaltigungsszenen sollen nichts als Phantasien gewesen sein. Auch einen möglichen Komplizen Priklopils soll es nie gegeben haben.
Im Jahr 1998 war die damals zehnjährige Österreicherin Natascha Kampusch vom arbeitslosen Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil in Wien entführt und mehr als acht Jahre lang in dessen Haus im Bezirk Gänserndorf, östlich von Wien, gefangen gehalten worden. 2006 konnte Kampusch im Alter von 18 Jahren fliehen. (gf)