Die Taktik von Erdogan und seiner Partei vor jeder kritischen Wahl ist klar: Sie polarisieren die politische Atmosphäre im Land, um ihre Wähler zu konsolidieren. Erdogan will Stimmen machen, indem er sich als Opfer darstellt.
Man muss sich vor Augen halten: 13 Parlamentarier der Partei HDP, die ebenfalls gegen das geplante Erdogan-Präsidialsystem sind, sitzen im Gefängnis fest. 158 Journalisten wurden ebenso festgenommen. Der Oppositionspartei CHP wird der Strom in den Sitzungsräumen einfach abgeschaltet. An Versammlungsorten beginnen in der Nacht vor Veranstaltungen plötzlich Bauarbeiten. Alleine vergangenen Monat wurden 80 Personen festgenommen, die aktiv für ein Nein warben. Wer Nein stimmt, sagt Erdogan, ist sowieso Terrorist.
Keine dieser Taktiken haben Erdogan bei den Umfragen bisher den Weg zum Sieg geebnet. Da es in der Türkei nicht möglich war, Boden gutzumachen, verschob er seine Taktik ins Ausland. Organisierte dort Ja-Kampagnen, um mögliche Reaktionen innenpolitisch zu verwenden. Dieser Plan ging genauso auf, wie er sich das wohl vorgestellt hatte.
Als Deutschland nicht erlauben wollte, dass zwei türkische Minister im Rahmen von Ja-Kampagnen auftreten durften, gaben Erdogan und seine Partei sich empört. Nur wegen der Untersagung einiger solcher Events rieben Erdogan und die AKP Deutschland seine Nazivergangenheit unter die Nase. Das erwünschte Resultat: grosse mediale Aufmerksamkeit.
Dieser Erfolg trieb Erdogan bis an die Grenze und noch weiter. Jetzt waren die Niederlande dran. Die baten: «Kommt bitte nicht vor unseren Wahlen!» Aber Ankara stellte sich taub. In der Folge sprachen die Niederlande dem türkischen Aussenminister ein Landeverbot aus. Ankara versuchte darauf, eine weitere Ministerin ins Land zu schicken. Resultat: Tumulte zwischen türkischen Demonstranten und der holländischen Polizei mitten in Rotterdam.
Das Leben von Bülent Mumay (39) hat sich in den letzten zwei Jahren drastisch verändert: Der türkische Journalist war Online-Chef der Zeitung «Hürriyet» in Istanbul. Im Nobember 2015 verlor er seine Stelle – kurz nach den türkischen Parlamentswahlen. Kein Zufall: Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan (63) soll sich über die kritische Haltung Mumays beschwert haben. Mittlerweile lebt Mumay nicht mehr in der Türkei.
Das Leben von Bülent Mumay (39) hat sich in den letzten zwei Jahren drastisch verändert: Der türkische Journalist war Online-Chef der Zeitung «Hürriyet» in Istanbul. Im Nobember 2015 verlor er seine Stelle – kurz nach den türkischen Parlamentswahlen. Kein Zufall: Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan (63) soll sich über die kritische Haltung Mumays beschwert haben. Mittlerweile lebt Mumay nicht mehr in der Türkei.
All das ist nicht passiert, um die paar Tausend Stimmen von in Europa wohnhaften Türken zu gewinnen. Das Ziel war von Anfang an, die unentschiedenen Wähler in der Türkei selbst zu beeinflussen. Das Kalkül, Europa als externen Feind darzustellen, ist vollends aufgegangen. Erdogan war einmal mehr der selbstinszenierte Kämpfer gegen Europa, der selber unschuldig war. Dass ihm Europa in diese Falle tappte, wird den AKP-Chef sehr befriedigen. Ömer Celik, der türkische EU-Minister, verbirgt das nicht: «Was passiert ist, hat uns geholfen, unentschiedene Wähler auf Erdogans Seite zu ziehen.» AKP-Parlamentarier Hüseyin Kocabiyik hat sich gar öffentlich bei Holland und Deutschland bedankt: «Sie haben zu den Ja-Stimmen mindestens zwei Punkte beigetragen.»
Die Schlagzeile von BLICK wird leider nicht wirklich viel bringen. Sie unterstützt vor allem das Bild, das die AKP schon verbreitet: jenes vom grossen Führer Erdogan, der antritt gegen den Rest der Welt. Erdogan hat zwar öffentlich auf eure Schlagzeile empört reagiert – tatsächlich aber bedankt er sich wohl innerlich bei euch für die «Unterstützung».