Für 30 Tage eingefroren
Tunesiens Präsident entlässt Premier und schliesst Parlament

Tunesiens Präsident Kais Saied hat in einem umstrittenen Schritt Regierungschef Hichem Mechichi abgesetzt und die Arbeit des Parlaments für zunächst 30 Tage eingefroren.
Publiziert: 26.07.2021 um 16:36 Uhr
Soldaten der tunesischen Armee bewachen den Eingang des Parlamentsgebäudes während einer Demonstration einen Tag nachdem der tunesische Präsident Saied den Premierminister Hichem Mechichi abgesetzt hat. Die Arbeit des Parlaments ist zunächst für 30 Tage eingefroren. Foto: Khaled Nasraoui/dpa
Foto: Khaled Nasraoui

Er selbst werde die Amtsgeschäfte nun mit Mechichis Nachfolger führen, kündigte Saied nach einer Sitzung mit Militärvertretern am späten Sonntagabend an. Die Immunität aller Abgeordneten werde aufgehoben. Der frühere Juraprofessor Saied versicherte, sich im Rahmen der Verfassung zu bewegen. Kritiker sprechen dagegen von einem Staatsstreich.

In Tunesien liefert sich Präsident Saied seit Monaten einen Machtkampf mit der islamisch-konservativen Ennahda-Partei. Zu dieser gehören der abgesetzte Regierungschef Mechichi und Parlamentspräsident Rached Ghannouchi. Sie ringen miteinander, wie die Macht zwischen Präsident, Regierung und Parlament verteilt werden soll. Der überraschende Zug Saieds droht, die junge Demokratie Tunesien in eine ihrer schwersten politischen Krisen seit den arabischen Aufständen von 2011 versinken zu lassen.

Das Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Tunis wurde noch am Abend geschlossen und von Sicherheitskräften umstellt. Aufgebrauchte Demonstranten zogen am Montag dorthin und forderten Zugang. Einige versuchten, über das Tor zu klettern, hinter dem ein gepanzertes Militärfahrzeug geparkt war. Dem von Saudi-Arabien finanzierten Nachrichtenkanal Al-Arabija zufolge kam es dort auch zu Rangeleien zwischen Demonstranten und Unterstützern Saieds.

Tunesien hat als einziges Land in der Region nach den Aufständen von 2011, bei denen Langzeitherrscher Zine El Abidine Ben Ali gestürzt wurde, den Übergang zur Demokratie geschafft. Seitdem hat das Land aber mehr als zehn Regierungswechsel erlebt. In Protestwellen machten Tausende Demonstranten ihrem Ärger unter anderem wegen hoher Arbeitslosigkeit und der immer noch verbreiteten Korruption Luft. in vergangenen Tagen kam es wegen stark steigender Corona-Fallzahlen und der anhaltenden Wirtschaftskrise seit Tagen erneut zu Protesten.

Das Militär hielt nachts Parlamentspräsident Ghannouchi davon ab, das Gebäude zu betreten. Er ist Chef der islamisch-konservativen Ennahda-Partei, der stärksten Kraft im Parlament. Ghannouchi rief seine Unterstützer dazu auf, mit vor das Parlament zu ziehen. «Wir haben geschworen, das Heimatland zu verteidigen», sagte ein Sicherheitsbeamter in einem von der Partei veröffentlichten Video. Teils gab es Berichte über Angriffe auf Parteibüros der Ennahda.

Die Unterstützer Saieds feierten dessen Ankündigungen nachts auf den Strassen des Landes trotz einer Corona-Ausgangssperre. Sie zündeten teils Leuchtfeuer und Feuerwerk und schwenkten Fahnen. Einige sangen die Nationalhymne. Teils waren auf Videos Militärfahrzeuge zu sehen, die durch klatschende Gruppen von Tunesiern fuhren.

Auch Saied zeigte sich in der Nacht in Tunis und begrüsste seine Unterstützer. Es handle sich um keinen Staatsstreich, versicherte der seit 2019 amtierende Präsident. Saied beteuert, sich innerhalb des rechtlichen Rahmens zu bewegen. Mit Blick auf mögliche Unruhen im Land sagte er: «Ich will keinen einzigen Tropfen Blut vergiessen lassen.» Gewalt werde aber umgehend mit Gewalt der Sicherheitskräfte beantwortet.

(SDA)

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