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Frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel räumt ein, sie habe Deutschland nicht «in Tip-Top-Zustand» hinterlassen
«Ich freue mich natürlich nicht, dass die AfD stark geworden ist»

Bei der Vorstellung ihrer Memoiren zeigt sich die deutsche Altkanzlerin Angela Merkel auch selbstkritisch. Doch nicht, was ihre Asylpolitik betrifft. Merkel bedauert den Aufstieg der AfD. Dazu hätten auch Entscheidungen von ihr beigetragen, die sie nicht umgehen konnte.
Publiziert: 03:36 Uhr
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Die frühere deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel meldet sich nach Jahren des Schweigens mit ihren Memoiren zurück.
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Auf einen Blick

  • Angela Merkel räumt Fehler in ihrer 16-jährigen Amtszeit als deutsche Bundeskanzlerin ein
  • Keine Versäumnisse sieht Merkel in ihrer Asylpolitik, sie habe keine Wahl gehabt
  • Die 70-jährige Ex-Kanzlerin zeigt sich besorgt über Trumps Wahlsieg
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Nach Jahren des Schweigens tritt Angela Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin von 2005 bis 2021, ins Rampenlicht zurück. Die 70-Jährige hat bei der Vorstellung ihrer Memoiren Fehler und Versäumnisse in ihrer Amtszeit eingeräumt.

Dass sie Deutschland zum Ende ihrer Amtszeit «in einem Tip-Top-Zustand hinterlassen hätte, das kann man nicht sagen, wirklich nicht», sagte Merkel am Dienstagabend in Berlin. Das wisse sie. Das «ideale Deutschland» habe sie nicht hinterlassen.

Merkel nannte Versäumnisse beim Klimaschutz, bei der Digitalisierung und bei der Stärkung der Bundeswehr. Keine Versäumnisse sieht sie in ihrer Asylpolitik, deren Auswirkungen sich danach aber nicht nach ihrem Gutdünken entwickelt hätten.

«Wenn es hilft, dann soll man sagen: ‹Merkel wars›»

In ihrem Buch «Freiheit», das am Dienstag erschien, unternehme Merkel nicht den Versuch, ihre politische Bilanz «vollkommen glorreich» darzustellen, wie sie sagte. Mit Gelassenheit reagierte sie darauf, dass sie von Kritikern für viele der aktuellen Probleme Deutschlands mitverantwortlich gemacht wird. «Wenn es hilft, dann soll man sagen: ‹Merkel wars› – ich glaube nur, dass damit dem Land auch nicht geholfen ist», sagte die Ex-Kanzlerin. «Damit, dass Merkel weg ist, ist weder die Bahn in Ordnung noch sind die Überlandleitungen schneller gebaut.»

Als grosses Versäumnis sehe sie heute, «dass es mir nicht gelungen ist, mithilfe demokratischer Mechanismen die richtigen Antworten auf den Klimaschutz zu geben», sagte Merkel bei der Buchvorstellung im Gespräch mit der Moderatorin Anne Will (58) im Deutschen Theater in Berlin. Zudem sei es ihr «nicht gelungen, dass wir das Zwei-Prozent-Ziel schnell genug bei der Verteidigung erreicht haben».

Bedauern über AfD-Stärkung

Merkel räumte auch ein, dass ihre Entscheidung aus dem Jahr 2015 zur Aufnahme in Ungarn festsitzender Flüchtlinge in Deutschland zum Erstarken der AfD beigetragen habe. Die AfD sei «stärker geworden durch die Tatsache, dass so viele Menschen zu uns gekommen sind», sagte die frühere CDU-Politikerin.

Sie habe damals aber keine Alternative zu ihrer Entscheidung gesehen, weil eine Zurückweisung der Geflohenen an der deutschen Grenze «noch dramatischer gewesen» wäre. «Insofern habe ich am Anfang akzeptiert, dass so viele Menschen kamen», sagte Merkel.

Umfrage: Merkel sollte zumindest einen Teil ihres Memoiren-Honorars spenden

Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sollte zumindest einen Teil ihres Honorars aus der Veröffentlichung ihrer Memoiren spenden – dieser Meinung ist einer Umfrage nach eine grosse Mehrheit der Bevölkerung. In einer am Dienstag veröffentlichten Forsa-Befragung für den «Stern» sprachen sich 69 Prozent der Befragten dafür aus. 24 Prozent sehen das nicht so, sieben Prozent äusserten sich nicht.

Frauen (76 Prozent) raten Merkel den Angaben zufolge etwas häufiger zur Spende als Männer (62 Prozent). Dass die Ex-Kanzlerin ihre Honorare ruhig ganz für sich behalten sollte, meinen am ehesten noch die Anhänger der FDP, aber auch unter ihnen keine Mehrheit (41 Prozent).

Die Höhe von Merkels Honorar für das am Dienstag veröffentlichte Buch «Freiheit» ist nicht bekannt, auch nicht, ob Merkel die Summe ganz oder zum Teil spendet. Ihr Büro äusserte sich dazu im «Stern» nicht.

Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sollte zumindest einen Teil ihres Honorars aus der Veröffentlichung ihrer Memoiren spenden – dieser Meinung ist einer Umfrage nach eine grosse Mehrheit der Bevölkerung. In einer am Dienstag veröffentlichten Forsa-Befragung für den «Stern» sprachen sich 69 Prozent der Befragten dafür aus. 24 Prozent sehen das nicht so, sieben Prozent äusserten sich nicht.

Frauen (76 Prozent) raten Merkel den Angaben zufolge etwas häufiger zur Spende als Männer (62 Prozent). Dass die Ex-Kanzlerin ihre Honorare ruhig ganz für sich behalten sollte, meinen am ehesten noch die Anhänger der FDP, aber auch unter ihnen keine Mehrheit (41 Prozent).

Die Höhe von Merkels Honorar für das am Dienstag veröffentlichte Buch «Freiheit» ist nicht bekannt, auch nicht, ob Merkel die Summe ganz oder zum Teil spendet. Ihr Büro äusserte sich dazu im «Stern» nicht.

Habe es als Frau und Ostdeutsche schwieriger gehabt

«Ich habe mir nicht ausgesucht, dass die Flüchtlinge kamen, sondern sie kamen wegen der Umstände ausserhalb Europas», sagte Merkel weiter. Der Zuzug habe sich dann auf die politischen Verhältnisse in Deutschland ausgewirkt: «Ich freue mich natürlich nicht, dass die AfD stark geworden ist.»

Unterm Strich, sagte Merkel, habe man es ihr auf dem Weg ins Kanzleramt als Frau schwerer gemacht als als Ostdeutsche. Sie wollte aber nie bemitleidet werden oder jammern. «Parteien sind Machtmaschinen», so Merkel.

Will keine Abweisung von Flüchtlingen

Merkel grenzte sich ausdrücklich von der Forderung von CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz (69) nach Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze ab. «In dieser Frage haben wir unterschiedliche Meinungen, und das ist ja auch nichts Neues», sagte sie. «Ich halte es auch für den falschen Weg, aber es ist nun mal so, dass er diese Meinung hat.» In einer «grossen Volkspartei» wie der CDU gehörten solche unterschiedlichen Auffassungen aber dazu.

Merkel wies bei der Veranstaltung den Vorwurf zurück, ihre Amtszeit schönfärberisch zu schildern und manche schwierige Themen zu umgehen. Sie stelle sich gerne den «Kontroversen», die ihr Buch ausgelöst habe, sagte sie. «Aber ich finde ein bisschen komisch, wenn jetzt so gesagt wird: ‹Ach, da steht ja gar nichts Neues drin, was wir noch nicht wussten›», sagte Merkel – und fügte hinzu: «Stellen Sie sich mal vor, ich würde jetzt Sensationen veröffentlichen über mich, dann würde man sagen: Sie hat uns die ganze Zeit belogen.»

Besorgt über Trump und Musk

Über den erneuten Wahlsieg von Donald Trump (78) und den Einfluss des Milliardärs Elon Musk (56) auf den künftigen US-Präsidenten hatte sich Merkel zuvor als äusserst besorgt geäussert. «Wenn jemand in der Politik keine Win-win-Situationen zulässt, sondern immer nur Sieger und Verlierer kennt, dann ist das eine sehr schwierige Aufgabe für den Multilateralismus», sagte Merkel dem «Spiegel».

«Dieses gegenseitige Übertrumpfen» halte sie nicht für eine politische Tugend und sei nicht ihr Stil gewesen. Darüber, dass nicht die Demokratin Kamala Harris (60) die US-Wahl gewonnen habe, empfinde sie Trauer: «Ich hätte es mir anders gewünscht.»

Mit Blick auf Musk sagte Merkel: «Wenn ein Mensch wie er Eigentümer von 60 Prozent aller Satelliten ist, die im Weltraum kreisen, dann muss uns das zusätzlich zu den politischen Fragen enorm beschäftigen.» In den vielen Krisen ihrer Kanzlerschaft sei die Politik die letzte Instanz gewesen, um für Ausgleich zwischen Mächtigen und normalen Bürgern zu sorgen. «Wenn diese letzte Instanz zu stark von Unternehmen beeinflusst wird, ob durch Kapitalmacht oder technologische Fähigkeiten, dann ist das eine ungekannte Herausforderung für uns alle.»

Merkel über Trump: Jede Begegnung ein Wettkampf

Merkel hatte von 2017 bis 2021 zeitgleich mit Trump regiert und war mehrmals mit ihm zusammengetroffen. Trump sei dabei sehr neugierig gewesen und habe Details ganz genau wissen wollen, sagte die frühere Kanzlerin nun. «Aber nur, um sie auf den eigenen Vorteil hin abzutasten, um Argumente zu finden, die ihn stärken und andere schwächen», ergänzte sie.

«Je mehr Menschen im Raum waren, desto grösser war sein Drang, der Sieger zu sein. Man kann mit ihm nicht plaudern, jede Begegnung ist ein Wettkampf: Du oder ich.» Andere Regierungschefs sollten sich diesem Stil auf keinen Fall anpassen, warnte Merkel: «Sonst kriegt man politisch ja gar nichts mehr hin.»

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