Der russische Napoleon-Experte Oleg Sokolow (63) trat gern in historischen Kostümen auf. Am Dienstag zeigte er sich mit Schutzmaske und Handschuhen – vor Gericht. Der bekannte Wissenschaftler der Staatlichen St. Petersburger Universität hatte bereits im November gestanden, die Studentin Anastasia «Nastja» Jeschenko (†24), mit der er zusammenlebte, im Streit getötet zu haben.
Wegen der Corona-Pandemie wurden kaum Menschen in den Gerichtssaal gelassen. Doch die Richterin liess zum Prozessauftakt eine Live-Übertragung im Internet zu.
Erwürgt, dann versetzte er ihr drei Kopfschüsse
Die Anklage nennt Eifersucht als Motiv. Demnach feuerte der fast 40 Jahre ältere Mann erst einen Schuss auf die junge Studentin ab, erwürgte sie dann und versetzte ihr dann noch drei Kopfschüsse. Dann zerstückelte er die Leiche. Die Körperteile wollte er im Fluss Moika der Hafenstadt versenken.
Der Fall sorgte international für Aufsehen – auch weil der schillernde Professor wegen seiner Forschung Träger des renommierten Ordens der französischen Ehrenlegion war.
Sokolow stellte gern historische Schlachten nach. Er ist Autor militärhistorischer Literatur zu den Feldzügen Napoleons, die auch ins Französische übersetzt wurde. Dass die Russen einst Napoleon schlugen, fasziniert beide Seiten bis heute. Der Dozent war berühmt für seine Leidenschaft, seine Bälle und Picknicks im Stil der Napoleon-Zeit.
Weitere Frauen schildern Gewaltexzesse
Der Professor hatte auch ein Faible für junge Studentinnen, die sich für seine Art begeisterten. Eine 40-minütige Dokumentation zeichnet das Leben des Familienvaters nach, der seine einflussreiche Stellung an der Universität vermutlich wiederholt für Seitensprünge nutzte. In dem online verfügbaren Film mit dem Titel «Einladung zum Ball. Die Opfer des russischen Napoleons» schildern mehrere Frauen Gewaltexzesse des Professors.
Die Anwältin Alexandra Bakschejewa, die Nastjas Familie vor Gericht vertritt, erzählt im Film, dass sie auf die maximale Strafe hinwirken wolle. Im Gespräch mit Bakschejewa bricht da eine junge Frau in Tränen aus, weil sie Sokolow nicht anzeigte – und sich nun Vorwürfe macht. Trotzdem war er der Polizei als Gewalttäter bekannt, wie die Doku zeigt – durch die Anzeige einer weiteren Frau.
Wie so oft im Fall häuslicher Gewalt in Russland blieb der Angriff folgenlos. Tausende Frauen sterben jedes Jahr durch Attacken ihrer Männer. Aktivistinnen kämpfen bisher erfolglos für härtere Strafen. Dabei war 2017 häusliche Gewalt sogar noch entkriminalisiert worden. Erst im Wiederholungsfall droht Tätern seither ein Strafverfahren. Für Nastja endete dieser Übergriff tödlich.
Aus Fluss gerettet, Leichenteile entdeckt
«Sokolow hat nicht nur uns getötet, mich, meinen Mann, unsere Verwandten, Nastja», sagt die Mutter der Studentin. «Er hat unsere Hoffnung getötet, unsere Träume und unsere Wünsche.»
Die Dokumentation zeichnet auch nach, wie der Beschuldigte vor dem Haftrichter versucht, der Studentin die Schuld an der Bluttat zu geben. «Ein Mädchen, das einfach wie ein ideales Wesen erschien, verwandelte sich schrittweise in ein Monster aus einem schrecklichen Märchen», sagt Sokolow. In seiner Wohnung fanden Ermittler den Kopf und den Torso der Frau. Der Polizei zufolge hatte er den Körper mit einer Säge und einem Küchenmesser zerteilt.
Sokolow wurde im November aus dem Fluss Moika gezogen – vermutlich, als er versuchte, einen Rucksack mit den abgetrennten Händen der Frau im Wasser zu versenken. Zum Prozessauftakt am Dienstag stellte er einen zweiten Verteidiger vor, der um Zeit bat, sich mit dem Fall besser vertraut zu machen. Deshalb vertagte die Richterin die Verhandlung kurz nach dem Start auf kommenden Montag. (SDA/noo)