Freihandel
«Stopp TTIP»: Massenproteste gegen Freihandelsabkommen in Berlin

Berlin – Eine Viertelmillion Menschen hat nach Angaben der Organisatoren in Berlin gegen die umstrittenen EU-Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada demonstriert.
Publiziert: 10.10.2015 um 20:53 Uhr
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Aktualisiert: 14.10.2018 um 11:23 Uhr

«Nie zuvor sind in Europa mehr Menschen zu diesem Thema auf die Strasse gegangen», teilte das Veranstalterbündnis der Demonstration unter dem Motto «TTIP und Ceta stoppen!» am Samstag mit. Die Polizei sprach hingegen von lediglich gut 150'000 Demonstranten.

Bei Sonnenschein und blauem Himmel versammelten sich mehrere zehntausend Demonstranten bereits am frühen Vormittag vor dem Berliner Hauptbahnhof. Die TTIP-Gegner waren unter anderem mit fünf Sonderzügen sowie mehr als 600 Bussen angereist.

Die Banner, Fahnen und Plakate auf dem Demonstrationszug spiegelten die Vielfalt der teilnehmenden Verbände wieder: Gewerkschaften, Umwelt- und Konsumentenschutzorganisationen, Globalisierungskritiker sowie Anhänger der Grünen und der Linken unterstützten die Proteste.

Die Transparente der Teilnehmer richteten sich vor allem gegen einen zu grossen Einfluss von US-Konzernen auf die Politik sowie gegen einen Abbau der Demokratie. Andere Banner warnten vor der Einführung genmanipulierter Lebensmittel, vor einem Abbau der Arbeitnehmerrechte sowie vor Raubbau an der Natur, etwa durch das umstrittene Fracking.

Viele Teilnehmer hatten sich verkleidet. So war das so genannte Chlorhühnchen mehrfach an der Demonstration zu sehen, das für Konsumentenschützer ein Symbol für ihrer Meinung nach zu niedrige Lebensmittel- und Tierschutzstandards in den USA ist.

Die Organisatoren hatten im Vorfeld mit 50'000 bis 100'000 Teilnehmern gerechnet. Wegen des grossen Andrangs war aber am Bahnhofsvorplatz gegen Mittag kein Durchkommen mehr. Die S-Bahnen konnten nach Angaben der Deutschen Bahn den Hauptbahnhof zeitweise nicht mehr anfahren. Auch U-Bahn-Stationen entlang der Route zur Siegessäule mussten nach Polizeiangaben zeitweise gesperrt werden.

Die Polizei sei mit rund 1000 Beamten im Einsatz, sagte Berlins Polizeisprecher Stefan Redlich. Die Demonstration bezeichnete er als «störungsfrei».

«Wir sind hier, weil wir die Zukunft nicht den Märkten überlassen, sondern die Demokratie retten wollen», sagte Michael Müller, Bundesvorsitzender der Naturfreunde Deutschlands, in einer Ansprache. Zu den weiteren Rednern gehörten der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB Reiner Hoffmann, die SPD-Politikerin Gesine Schwan, der Grünen-Vorsitzende Anton Hofreiter sowie Linken-Chef Bernd Riexinger.

Die Demonstranten wurden unter anderem von 20 Protestwagen begleitet. Trommlergruppen und andere Musiker säumten die Strassen. Immer wieder erschallte der Ruf «Stopp TTIP!» aus der Menge, die sich in ihrer Ablehnung gegenüber den Freihandelsabkommen durchaus uneinig ist.

Der DGB lehnt das TTIP-Abkommen zwischen EU und USA sowie den Ceta-Vertrag zwischen der EU und Kanada in seiner derzeit geplanten Form ab. Globalisierungskritiker wie Attac plädieren hingegen für ein gänzlich anderes Wirtschaftssystem.

Die Kritiker der Abkommen befürchten unter anderem sinkende Sozial-, Umwelt- und Konsumentenstandards sowie eine Schwächung demokratischer Institutionen.

Zu den umstrittensten Aspekten gehört die Einrichtung sogenannter Investor-Staats-Schiedsgerichte sowie die Geheimhaltung der Verhandlungen, von denen auch EU-Parlamentsabgeordnete sowie Parlamentarier von EU-Staaten weitestgehend ausgeschlossen sind. «Schluss mit der Geheimdiplomatie», forderte deshalb DGB-Chef Hoffmann an der Abschlusskundgebung.

Die Fürsprecher von TTIP und Ceta warben ebenfalls für ihre Position. Im Rahmen einer vom Bund der Deutschen Industrie (BDI) finanzierten Kampagne fuhren Lastwagen und ein Schiff mit Plakaten durch die Strassen Berlins und über die Spree.

Auch der SPD-Vorsitzende, Vizekanzler und deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sprach sich in einem am Samstag in mehreren Zeitungsanzeigen veröffentlichten offenen Brief für die Abkommen aus.

Europa müsse selbstbewusst und mutig seine Ideen von Freiheit im Handel und Verantwortung für die Menschen voranbringen. Man habe die Chance, weltweit einen neuen Standard für den wachsenden globalen Handel zu setzen - «mit ambitionierten Umwelt- und Verbraucherstandards und mit fairen Bedingungen für Investitionen und Arbeitnehmer», heisst es in den Anzeigen.

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