Französische Regierung ist sich nach Bluttat in Nizza nicht einig
IS-Terrorist oder Irrer?

Der französische Innenminister gab heute zu, dass es noch immer an Beweisen fehlt, dass der Nizza-Attentäter Verbindungen zum IS hatte. Premier Valls versucht sich derweil in Ausflüchte zu retten.
Publiziert: 18.07.2016 um 23:58 Uhr
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Aktualisiert: 29.10.2018 um 13:25 Uhr
Tausende versammelten sich heute Mittag auf der Promenade des Anglais in Nizza zur Schweigeminute für die 84 Opfer des Attentats.
Foto: Reuters

Für den französischen Präsidenten war die Ausgangslage rasch klar. Die Schreckenstat von Mohammed Lahouaiej-Bouhlel (†31) in Nizza habe eindeutig einen terroristischen Hintergrund, sagte François Hollande an einer Pressekonferenz wenige Stunden nach dem Attentat. Der Täter sei mit islamistischen Organisationen in Verbindung gestanden, präzisierte Premierminister Valls später. «Das ist ein Terrorist, der ohne Zweifel auf die eine oder andere Weise mit dem radikalen Islamismus verbunden war.»

Doch nun zeigt sich: So eindeutig die Situation von Seiten der Politik dargestellt wurde, ist sie nicht. Heute, drei Tage nach dem Anschlag, wird klar, dass die von Hollande und Valls gezogenen Schlüsse im besten Fall voreilig waren – im schlimmsten gar kompletter Unsinn. 

Cazeneuve: Attentat mit «terroristischem Charakter»

Denn am Wochenende bekannte sich zwar die Terrormiliz Islamischer Staat zum Attentat – dass Lahouaiej-Bouhlel tatsächlich ein IS-Anhänger war, ist allerdings weiterhin nicht bestätigt. Vielmehr räumte der französische Innenminister Bernard Cazeneuve heute ein, dass man bisher keine Verbindungen des Mannes zu einer Terrororganisation habe entdecken können. 

Es handle sich um ein Attentat mit «terroristischem Charakter», so die Worte Cazeneuves gegenüber dem französischen TV-Sender RTL. Jetzt müsse man herausfinden, was «die Verbindungen zwischen demjenigen, der diese abscheuliche Tat begangen hat, und den Terrornetzwerken» gewesen seien. «Zum jetzigen Zeitpunkt wurden diese Verbindungen durch die Untersuchung nicht hergestellt.»

Cazeneuve gibt zu, dass es sein könne, dass kein Terrorist, sondern ein psychisch Gestörter das Attentat begangen haben könnte – und es sich folglich nicht um einen Terroranschlag, sondern einen Amoklauf handeln würde. «Man kann eine psychisch gestörte und sehr gewalttätige Einzelperson nicht ausschliessen», sagte er.

Bereits am Tag nach der Tat hatte Cazeneuve für Aufsehen gesorgt, als er Premierminister Manuel Valls und seiner Aussage, Lahouaiej-Bouhlel habe Kontakt zu Islamisten gehabt, öffentlich widersprochen hatte.

Täter litt unter psychischer Erkrankung

So häufen sich denn auch die Hinweise, die eher für letztere Version sprechen. Ein tunesischer Arzt, den Lahouaiej-Bouhlel vor zwölf Jahren konsultiert hatte, sagte, der Attentäter habe damals unter «Charakter- und Verhaltensstörungen» gelitten, was auf eine sich anbahnende Psychose hingewiesen habe. Zudem soll der Täter laut seinem Vater heftige Wutanfälle gehabt haben. Lahouaiej-Bouhlel war der Polizei unter anderem wegen häuslicher Gewalt bekannt. 

Nachbarn und Familienangehörige berichten zudem, Lahouaiej-Bouhlel nie als besonders religiös wahrgenommen zu haben. Er habe nicht gebetet oder sich an das Fastengebot während des Ramadan gehalten, dafür Alkohol getrunken und Schweinefleisch gegessen. Mit Religion habe sein Sohn nichts am Hut gehabt, sagte Mohamed Mondher Lahouaiej-Bouhlel zur Nachrichtenagentur AFP.

IS schlachtet Tat für Terror-Propaganda aus

Premierminister Valls erklärte die widersprüchlichen Informationen damit, dass es sich im Falle Lahouaiej-Bouhlels um eine «sehr schnelle Radikalisierung» gehandelt habe. Was das konkret bedeutet, erläuterte der Premier nicht.

Und so scheint bisher nur eines zweifellos festzustehen: Dem IS und seiner Propagandamaschinerie spielt das Attentat in Nizza in die Hände. Die Terrormiliz inszenierte das Attentat im Nachgang als Vergeltungsschlag gegen Frankreich, das in Syrien und dem Irak Luftschläge gegen die Dschihadisten fliegt. Ob es tatsächlich so war? Eine klare Antwort blieben die französischen Behörden bisher schuldig. (lha)

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