Das Strafgericht der ostfranzösischen Stadt Lyon sprach die Vorsitzende des Front National (FN) am Dienstag vom Vorwurf frei, zu «Diskriminierung, Gewalt oder Hass» gegen Muslime angestiftet zu haben. Das Gericht folgte damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft.
Le Pen hatte im Dezember 2010 Gebete von Muslimen in der Öffentlichkeit mit der NS-Besatzung Frankreichs während des Zweiten Weltkriegs verglichen.
«Es ist eine Besatzung von Teilen von Territorium, der Stadtteile, in denen das religiöse Gesetz angewandt wird, das ist eine Besatzung», sagte die Europaabgeordnete - damals noch nicht FN-Chefin - vor Anhängern in Lyon. «Sicher gibt es keine Panzer und keine Soldaten, aber trotzdem ist es eine Besatzung, und sie lastet auf den Einwohnern.»
Angeklagt wurde Le Pen nach langem juristischen Hin und Her wegen «Anstiftung zu Diskriminierung, Gewalt oder Hass gegen eine Personengruppe wegen ihrer Religionszugehörigkeit». Bei einer Verurteilung hätten ihr bis zu ein Jahr Haft und 45'000 Euro Geldstrafe gedroht.
Beim Prozess im vergangenen Oktober forderte die Staatsanwaltschaft aber einen Freispruch für die 47-jährige Politikerin. Staatsanwalt Bernard Reynaud argumentierte, Le Pen habe bei ihren Äusserungen «von einer Minderheit» gesprochen und nicht auf «die gesamte muslimische Gemeinschaft» abgezielt. Damit habe sie lediglich «ihr Recht auf freie Meinungsäusserung ausgeübt».
Das Gericht folgte am Dienstag dem Antrag der Anklage. Marine Le Pen war - anders als zum Verhandlungstermin am 20. Oktober - nicht zur Urteilsverkündung nach Lyon gereist.
Über den Kurznachrichtendienst Twitter begrüsste sie den Freispruch aber: «Fünf Jahre der Verleumdung, ein Freispruch... Und wieviele Verleumder werden sich jetzt entschuldigen?» Anti-Rassismus-Verbände, die als Nebenkläger aufgetreten waren, zeigten sich dagegen enttäuscht über den Freispruch und könnten Rechtsmittel einlegen.
Der Freispruch erfolgte zwei Tage nach der zweiten Runde der landesweiten Regionalwahlen, bei denen die Rechtsextremen einen neuen Stimmenrekord erzielen konnten, aber in keiner Region auf eine Mehrheit kamen.
Le Pen hatte den Prozess am Verhandlungstag als politisch motiviert angeprangert: «Wundert sie dieser Terminkalender nicht?» sagte sie zu Journalisten. «Wir stehen einen Monat vor einer Wahl, und diese Angelegenheit liegt fünf Jahr zurück.»
Die Tochter des mehrfach wegen rassistischer und antisemitischer Äusserungen verurteilten FN-Gründers Jean-Marie Le Pen stand in Lyon erstmals wegen ähnlicher Vorwürfe vor Gericht.
Sie ist eigentlich darum bemüht, den Front National im Vergleich zu ihrem Vater gemässigter erscheinen zu lassen und so neue Wähler zu gewinnen. Ihren Vater liess sie im Sommer sogar aus der Partei werfen, nachdem dieser zum wiederholten Male die NS-Gaskammern als «Detail» der Geschichte des Zweiten Weltkriegs bezeichnet hatte.
Die Strategie der Parteichefin einer «Entteufelung» oder «Entdämonisierung» des Front National geht augenscheinlich auf: Bei den Europawahlen im Mai 2014 wurde die FN erstmals in ihrer Geschichte stärkste Partei Frankreichs.
Bei der zweiten Runde der Regionalwahlen stimmten nun mehr als 6,8 Millionen Franzosen für die Rechtsextremen - und damit mehr als jemals zuvor. Le Pen hat gute Chancen, bei den Präsidentschaftswahlen 2017 in die Stichwahl zu kommen, würde dort aber laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage unterliegen.