Was machen wir gegen die Flüchtlingskrise? Wir bauen Mauern. So könnte ein nüchterner Beobachter Europas politische Antwort auf die grösste Herausforderung unserer Zeit beschreiben. Wobei Europa kaum mit einer Stimme spricht. Ein neues Sinnbild dafür liefert Grossbritannien: Es baut eine vier Meter hohe Mauer im nordfranzösischen Calais, um die im berüchtigten Lager ausharrenden Flüchtlinge von der britischen Insel fernzuhalten.
Gestern begannen Arbeiter, ein erstes Betonfundament zu giessen. Noch vor Jahresende soll die ein Kilometer lange Mauer entlang der Hafen-Zufahrtsstrasse fertiggestellt werden. Die Planer liessen verlauten, dass die Mauer aus «ästhetischen Gründen» begrünt werde – auch dies mutet symbolisch an: Das Fratzengesicht der Mauerpolitik scheint für die humanistischen Europäer nur schwer zu ertragen.
2,7 Millionen Euro
Mehr als 10'000 Menschen hausen gemäss Hilfsorganisationen im als «Dschungel» bekannten Flüchtlingscamp von Calais. Die meisten wollen nach England. Sie hoffen, in Fähren oder via Eurotunnel auf die Insel zu kommen. Dafür blockieren sie immer wieder die Zufahrtsstrasse zum Hafen – mit Baumstämmen, Steinen oder Feuer. So werden die Lastwagenfahrer zum Bremsen gezwungen. Die aus aller Welt Geflüchteten wollen sich zwischen der Ladung der Fahrzeuge verstecken.
Die neue Mauer soll den Zugang zur Strasse versperren. 2,7 Millionen Euro zahlt Grossbritannien dafür. 2003 verpflichtete sich Frankreich, die Kontrolle von Reisenden in Calais zu übernehmen. Grundlage ist der sogenannte Touquet-Vertrag.
Wahlkampf
In der nordfranzösischen Hafenstadt bestimmt das Lager längst die politische Agenda. Der Tourismus ist eingebrochen. Vor allem britische Besucher bleiben aus. Bei den Regionalwahlen im letzten Dezember gewann der rechtsextreme Front National über 40 Prozent der Stimmen.
Und auch beim anstehenden Wahlkampf um das höchste Amt Frankreichs wird der «Dschungel» von Calais als rhetorisches Schlachtfeld dienen. Konservative Politiker fordern, die Flüchtlinge nicht länger vor der britischen Grenze aufzuhalten. Und der Ex-Präsident und erneute Kandidat Nicolas Sarkozy hat kürzlich angekündigt, im Fall seiner Wahl am ersten Amtstag nach London zu reisen und den Vertrag mit Grossbritannien zu kündigen. Heute hat er Calais besucht.