Die Migranten vor dem Budapester Ostbahnhof schwenkten Fahrscheine, klatschten, buhten und skandierten «Deutschland, Deutschland!» und «Merkel, Merkel».
Am Dienstagvormittag hatte die Regierung den völlig überfüllten Bahnhof für zwei Stunden geschlossen und mit einem starken Polizeiaufgebot abgeschirmt. Als der Bahnhof wieder geöffnet wurde, kontrollierten die Behörden die Zugänge und liessen keine Flüchtlinge mehr ein.
Ein Sprecher der ungarischen Regierung begründete dies mit der Umsetzung von EU-Recht. Dieses verlange, dass jeder Bürger aus einem Drittstaat sich nur mit einem gültigen Pass und einem Schengen-Visum frei in der EU bewegen könne.
In der «Transitzone» neben dem Ostbahnhof warten nun nach Angaben von Helfern und Aktivisten derzeit 1500 bis 2000 Flüchtlinge auf die Möglichkeit einer Weiterreise nach Deutschland.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban kündigte für Donnerstag ein Krisen-Treffen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der übrigen EU-Spitze an.
Anders war die Situation am Montag. Da hatten sich die ungarischen Sicherheitskräfte überraschend vom Budapester Ostbahnhof zurückgezogen, woraufhin die Flüchtlinge Züge in Richtung Westeuropa stürmten. In Bayern kamen daher seit Wochenbeginn fast 4300 Menschen an.
Auch die Schweiz hatte sich auf die Ankunft von Flüchtlingen aus Ungarn vorbereitet. Der erwartete Ansturm blieb jedoch aus. Lediglich knapp ein Dutzend Flüchtlinge aus Budapest wurden am Dienstag in Buchs SG gezählt.
Ein Grossteil der Flüchtlinge kommt aus den Kriegsgebieten Syriens und Nordiraks sowie aus Diktaturen wie Eritrea. Rund 40 Prozent stammen aber vom Balkan und haben wenig Chancen auf ein Bleiberecht in der EU - das gleiche gilt für die Schweiz.
Mit Blick auf die vielen Flüchtlinge, die nach Europa wollen, mahnte Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, Deutschland müsse deutlich machen, dass das Dublin-Abkommen weiterhin in Kraft sei.
Medienberichte, wonach Deutschland nicht wie im Dublin-Abkommen vorgesehen Menschen in das Ankunftsland in der EU zurückschicke, hätten grosse Hoffnungen bei den Flüchtlingen geweckt. Daher strömten nun die Menschen nach Deutschland.
Ein Sprecher des deutschen Innenministers Thomas de Maiziere widersprach. Deutschland halte an den Dublin-Regeln fest, wonach Asylbewerber in dem Land registriert werden müssten, in dem sie die EU betreten hätten. Lediglich aus praktischen Erwägungen verzichte man bei syrischen Flüchtlingen «im Regelfall» auf die Rückführung in andere EU-Staaten, sagte der Sprecher. Dies sei aber keine «formal bindende Vorgabe».
Die EU-Kommission drohte unterdessen den EU-Mitgliedstaaten neue Strafverfahren wegen Verstössen gegen gemeinsame Asylregeln an. Nach Angaben einer Sprecherin wies EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker seine Behörde an, entsprechende Briefe zu verschicken. Die Briefe seien eine Art «letzte Warnung» vor der Eröffnung neuer Vertragsverletzungsverfahren. Nach Angaben aus EU-Kreisen wurde eine zweistellige Zahl von Schreiben verschickt.
Bereits jetzt betroffen von einem Vertragsverletzungsverfahren ist Ungarn, weil es eine grosse Zahl von Asylsuchenden unregistriert in Richtung von Ländern wie Österreich und Deutschland ausreisen liess.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy forderten ihrerseits die EU-Kommission zum Handeln auf: Europa brauche eine gemeinsame Asylpolitik - etwa mit Registrierungszentren für Flüchtlinge in Griechenland und Italien sowie einer einheitlichen Einstufung sicherer Herkunftsländer.
Dramatisch ist zurzeit die Lage in Griechenland: Nach vorläufigen Daten der EU-Grenzschutzagentur Frontex trafen dort allein vergangene Woche mehr als 23'000 Bootsflüchtlinge ein.
Auf der Ostägäisinsel Lesbos harren laut der griechischen Küstenwache seit Tagen mehr als 15'000 Flüchtlinge aus - und jeden Tag kommen Hunderte hinzu. An der ungarisch-serbischen Grenze wiederum kamen laut Frontex in der vergangenen Woche schätzungsweise 9400 Flüchtlinge an.