In der Nacht auf Freitag endet die Flucht von Anis Amri (†24). Der mutmassliche Attentäter von Berlin gerät in der Nähe von Mailand in eine Kontrolle und wird bei einem Schusswechsel mit Polizisten getötet.
Europa atmet auf. Doch man fragt sich: Wie konnte der meistgesuchte Mann Europas mehr als tausend Kilometer mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch den Kontinent reisen? Hochrangige deutsche Sicherheitsexperten seien «überrascht» gewesen, als sie von Amirs Aufenthaltsort erfahren hätten, berichtete der «Tagesspiegel». Man sei davon ausgegangen, dass er sich noch in Deutschland befinde.
Unter anderem ging man davon aus, er könne Grenzen nicht ohne weiteres überqueren, da er wegen sichtbaren Gesichtsverletzungen auffallen würde.
Lasche Kontrollen in internationalen Bussen
Doch der Flüchtige schaffte es bis bis nach Italien. Laut italienischen Medien ist Amri von Berlin aus über Paris und Chambéry nach Turin gereist. Das zeigt das Zugbillet, das bei Amri gefunden wurde, berichtet die italienische Zeitung «Repubblica».
Zuvor muss er irgendwie nach Frankreich gekommen sein. Direkt mit dem Zug zu reisen hätte für den Terror-Verdächtigen ein erhebliches Risiko dargestellt. Nachdem ein Marokkaner im August 2015 in einem Thalys-Zug von Amsterdam nach Paris um sich geschossen hat, wurde die Sicherheit in internationalen Zügen in Frankreich erheblich verschärft. An einigen Bahnhöfen müssen Passagiere durch Metalldetektoren, bevor sie den Zug betreten.
Es gibt aber einen weitaus weniger streng kontrollierten Weg von Deutschland nach Frankreich: Der Bus. Der britische «Guardian» spekuliert, dass Amri mit FlixBus oder einem anderen Car-Unternehmen gereist sein könnte.
Zum Beispiel gibt es einen FlixBus, der um 23.45 Uhr losfährt und am 8.10 Uhr in Annecy (in der Nähe von Chambéry) ankommt. Auf dieser Route wäre Amri sogar durch die Schweiz geflüchtet. Wenn der Tunesier am Mittwochabend in diesen Bus stieg, hielt er sich am Donnerstag einen Tag lang in Frankreich auf. Gemäss «Repubblica» nahm er um 17.15 Uhr den Zug von Chambéry nach Turin. Von dort aus reiste er um 23.00 Uhr weiter nach Mailand, wo er um 1.00 Uhr ankam.
Eine andere mögliche Route wäre Berlin-Paris-Chambéry. Von der Hauptstadt gibt es eine direkte FlixBus-Verbindung zur Stadt im Osten Frankreichs – der Bus fährt mehrmals täglich.
Bei solchen Bussen kontrolliert einzig der Chauffeur die Ausweisdokumente der Passagiere – und dieser ist in der Regel nicht qualifiziert, deren Echtheit zu überprüfen. FlixBus wollte sich im «Guardian» nicht zur Frage äussern, ob Amri mit einem ihrer Busse unterwegs gewesen sein könnte.
Waren die Ermittler zu langsam?
Gaben unnötige Verzögerungen bei der Fahndung Amri die nötige Zeit für eine Flucht? Erst am Dienstagnachmittag fanden die Ermittler in der Lkw-Führerkabine die Ausweispapiere eines gewissen Ahmad S. – eine der Identitäten, mit denen Amri unterwegs war. Die Durchsuchung fand so spät statt, weil zuerst Spürhunde die Kabine den Geruch des Verdächtigen aufnehmen sollten. Man wollte den Geruch nicht verzerren.
Eine Fahndung lösten die Behörden erst in der Nacht auf Mittwoch aus. Zunächst aber nicht öffentlich, offenbar um den Flüchtigen nicht zu warnen. Man schien davon auszugehen, dass sich Amri zu diesem Zeitpunkt noch in Berlin aufhielt. Am Mittwoch berichteten diverse Onlinemedien von der Fahndung und dem Verdächtigen, einige veröffentlichen Bilder. Doch erst um 17.35 Uhr gab die Bundesanwaltschaft einen offiziellen Fahndungsaufruf heraus.
So oder so: Dort endete Anis Amris Flucht. «Italien darf stolz sein», sagte der italienische Innenminister Marco Minniti. Das stimmt einerseits: Hier wurde der mutmassliche Attentäter gestoppt, die Zusammenarbeit der EU hat gut funktioniert. Für die Zeit davor kann man das aber nicht behaupten. Amri hat zwei Jahre in Italien gelebt, sass zeitweise im Gefängnis. «Informationen darüber kamen nach jetzigem Kenntnisstand nicht in Deutschland an», sagt der deutsche SPD-Innenexperte Burkhard Lischka zu «Spiegel Online». Die italienischen Behörden betonen, sie hätten die Daten weitergeschickt.
Was wollte Amri ausgerechnet in Italien? Der Verdacht liegt nahe, dass es in Italien extremistische Netzwerke gibt, von denen er sich Hilfe erhoffte. Derzeit versuchen die Ermittler herauszufinden, ob Amri Unterstützung hatte – und falls ja, von wem.