«Zukunft wird mit Mut gemacht - leider fehlt dieser den EU-Staats- und Regierungschefs in dieser wichtigen Stunde», sagte der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann nach dem Videogipfel am Donnerstagabend. Der Chef der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, Philippe Lamberts, beklagte, das Problem werde nur aufgeschoben.
500-Milliarden-Hilfspaket angenommen
Kanzlerin Angela Merkel und die anderen EU-Staats- und Regierungschefs hatten am Donnerstag versucht, ihren Dauerstreit über Corona-Bonds zu überwinden. Der EU-Gipfel hat das vereinbarte Paket mit Kredithilfen von bis zu 540 Milliarden Euro für Kurzarbeiter, Unternehmen und verschuldete Staaten gebilligt. Auch der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte, der zuletzt noch Vorbehalte gegen Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm ESM hatte, habe nicht widersprochen, hiess es. Die Hilfen sollen zum 1. Juni bereitstehen.
Auf das Paket hatten sich die EU-Finanzminister vor zwei Wochen geeinigt. Es enthält drei Punkte - jeweils ein «Sicherheitsnetz» für Jobs, für kleine und mittlere Unternehmen und für angeschlagene Staaten wie Italien oder Spanien, die ohnehin verschuldet sind und nun auch noch von der Corona-Krise schwer getroffen werden.
Bullmann betonte, die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie machten ein umfangreiches Wiederaufbauprogramm nötig. Dies könne nur «durch mehr Solidarität, einen deutlich leistungsfähigeren EU-Haushalt sowie die gemeinsame Finanzierung von Zukunftsaufgaben - auch auf dem Weg von Gemeinschaftsanleihen» zustande kommen.
Hilfspaket mit drei Punkten
Dazu gehört das Konzept «Sure» der EU-Kommission, das Kurzarbeitergeld in den EU-Staaten unterstützen soll. Dafür sollen die EU-Staaten 25 Milliarden Euro als Garantien hinterlegen. Mit dieser Rückendeckung nimmt die EU-Kommission bis zu 100 Milliarden Euro zu günstigen Konditionen am Kapitalmarkt auf und reicht sie nach Bedarf für Kurzarbeit an EU-Staaten weiter. So sollen Jobs erhalten werden.
Zweiter Punkt ist ein Garantiefonds bei der Europäischen Investitionsbank EIB, den die EU-Staaten ebenfalls mit 25 Milliarden Euro bestücken sollen. Damit könnte wiederum die EIB Unternehmenskredite absichern. Die EIB will so bis zu 200 Milliarden Euro an Liquidität mobilisieren, hauptsächlich für den Mittelstand.
Das dritte Element sind vorsorgliche Kreditlinien des Europäische Stabilitätsmechanismus ESM. Anders als ESM-Hilfen während der Eurokrise werden für diese «Pandemie-Krisen-Hilfe» keine Sparprogramme gefordert, es gibt nur eine Vorgabe: Das Geld darf nur für direkte oder indirekte Gesundheitskosten verwendet werden. Bis zu 240 Milliarden Euro an Krediten könnten fliessen - an jedes Empfängerland bis zu zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts.
Gemeinschaftsanleihen umstritten
Aber gerade diese Gemeinschaftsanleihen sind hoch umstritten. Angela Merkel erteilte ihnen am Donnerstag erneut eine Absage. Sie bekräftigte aber, dass Deutschland mehr in den EU-Haushalt einzahlen müsse - ohne eine Grössenordnung zu nennen. Auch die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, will bei ihrem Vorschlag für den geplanten «Recovery Fund» den EU-Haushalt nutzen. Sie will Spielräume im EU-Haushaltsrahmen ausweiten und für Garantien nutzen, um damit am Kapitalmarkt Schulden aufzunehmen und in den Wiederaufbau zu stecken. Das soll teils als Zuschuss an die Krisenländer gehen, teils als Kredite. In welchem Verhältnis Kredite und Zuschüsse stehen werden, müsse noch verhandelt werden.
Verantwortungsloses Handeln
Lamberts von den Grünen warf den Staats- und Regierungschefs vor, verantwortungslos zu handeln. Eine Mehrheit werde ihrer Verantwortung nicht gerecht und schiebe das Problem nur auf. «Das ist Gift für die Idee des europäischen Projekts.» Eine Vergemeinschaftung von Corona-bezogenen Schulden sei eine Investition in die Zukunft jedes Europäers, sagte Lamberts. Zugleich sprach er sich für eine deutliche Aufstockung des mehrjährigen Finanzrahmens der EU für die Jahre 2021 bis 2027 aus.
Streit um Höhe der Beiträge
Merkel ist zwar zu höheren Beiträgen bereit, andere Länder lehnen das jedoch strikt ab. Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen sagte nach dem Videogipfel: «Europa befindet sich in einer anderen Situation wegen Corona. Aber das tun die einzelnen Länder auch. Die Corona-Krise bedeutet auch, dass der dänische Haushalt ebenfalls anders aussieht.» Auch Gemeinschaftsanleihen lehnt Dänemark - wie Schweden - strikt ab.
Die Chefin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, drängte die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag zur Eile. Im schlechtesten von drei Szenarien könnte das Bruttoinlandsprodukt der Eurozone dieses Jahr um 15 Prozent schrumpfen, sagte Lagarde nach Angaben von Teilnehmern beim Gipfel. Sie warnte vor einer zu kleinen und zu langsamen Reaktion. Die Antwort müsse vielmehr schnell, entschlossen und flexibel ausfallen. (SDA)
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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Das Coronavirus trifft die ganze Welt, beeinflusst jeden Lebensbereich. Klar ist schon heute: Die Krise wird Folgen haben – einige gute, mehrheitlich aber negative.
Wirtschaft und Konsum
Das Coronavirus dürfte die Schweizer Wirtschaft grundlegend verändern. Schon jetzt befinden sich laut Angaben des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) 757 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kurzarbeit – rund 15 Prozent aller Erwerbstätigen! Neben einer Rezession werden zudem eine Arbeitslosigkeitsquote von 2,8 Prozent und ein Rückgang des BIP auf –1,3 Prozent erwartet.
Die Unsicherheiten haben grossen Einfluss auf das Verhalten der Bevölkerung: Teure Anschaffungen werden zurückgestellt, stattdessen Notreserven angespart. Was dazu führt, dass der Detailhandel noch lange an den Spätfolgen zu beissen haben wird. Hamsterkäufe hin oder her.
Die Konsumenten dürften sich daran gewöhnen, noch häufiger im Netz zu shoppen. So kündigte zum Beispiel Digitec Galaxus jüngst an, 200 weitere Logistik-Angestellte einzustellen.
Arbeitsalltag
Viele Unternehmen müssen sich aktuell mit digitalen Technologien auseinandersetzen, um den Betrieb am Laufen zu halten. Mitarbeiter lernen nun, sich per Videokonferenz auszutauschen. Für die Arbeitgeber künftig ein Segen: Bei mehr Homeoffice fallen weniger Büromieten und Equipmentkosten an.
Arbeitnehmer vermissen daheim das Persönliche des Büroalltags, schätzen die flexibleren Arbeitszeiten und kämpfen mit der Hard- und Software: In Spitzenzeiten sorgt der erhöhte Datenverkehr derzeit für Überlastungen in der Mobilkommunikation. Besonders nervig ists in Randregionen, dort sind statt Glasfaser- oft noch Kupferkabel im Einsatz.
Gastronomie und Events
Das Virus hat das gesellschaftliche Leben zum Erliegen gebracht. Betreiber von geschlossenen Restaurants, Bars und Clubs triffts voll: Während die Einnahmen weggefallen sind, müssen Betriebskosten wie Mieten weiter gedeckt werden.
Es gibt höchstens Kredite für zehn Prozent des Jahresumsatzes, was laut Gastrosuisse für viele Beizen nur ein Tropfen auf den heissen Stein sein dürfte. Dazu kommt: Viele Wirte sind Einzelunternehmer und erhalten nur 3320 Franken pro Monat.
Der Branche drohen Schliessungen, Konkurse und Entlassungen. Düster sieht es auch bei Konzert- und Sportveranstaltern aus, wo sich die Absagen häufen. Die Haftungsfragen sind noch ungeklärt.
Gesundheit
Die Krise bringt Stärken und Schwächen zum Vorschein, insbesondere beim Umgang mit der Epidemie, wo Krankheitsmeldungen teilweise noch per Fax erfolgen.
Das Virus wird grossen Einfluss auf laufende Debatten zu geplanten Spitalschliessungen und Kostenstrukturen im Gesundheitssystem haben. Auch die Bezahlung von Pflegekräften (für viele zu tief) dürfte auf den Prüfstand kommen.
Eine wichtige Rolle wird auch ein allfälliger Impfstoff gegen das Coronavirus spielen. Bereits befürchten Skeptiker das Szenario einer Zwangsimpfung für alle.
Reisen
In der Flugbranche tobt ein enormer Verdrängungskampf. Die Internationale Luftverkehrsvereinigung IATA geht davon aus, dass die Einnahmen aus dem Passagierverkehr um 252 Milliarden Dollar oder um 44 Prozent unter den Wert von 2019 fallen könnten, falls die Reisebeschränkungen drei Monate anhielten.
Viele Airlines werden ohne Staatshilfen nicht mehr abheben können. Die Swiss hat zurzeit 90 ihrer 96 Flugzeuge gegroundet. Ob die Reisebegeisterung in alte Höhen schiesst? Eher nicht: Weil viele ihre Ferien absagen mussten, werden sie bei Buchungen in Zukunft Vorsicht walten lassen.
Sozialer Umgang
In Zeiten von Social Distancing verbessert sich vielerorts der lokale Zusammenhalt. Bereiche wie Nachbarschaftshilfe blühen auf. Die Hilfsbereitschaft wird nach der Krise anhalten. Persönliche Kontakte werden wichtiger sein denn je. Zusammenkünfte unter Freunden oder in der Familie erhalten in Zukunft wohl mehr Wertschätzung.
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Arbeitsalltag
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