«Fifty Shades of Grey» spielt derzeit in den Kinos Rekordsummen ein. Woher stammt die Faszination an der Lust und Unterwerfung, an Macht und Schmerz? Wir haben bei einem SM-Pärchen nachgefragt: Dominik Schenk (34) und Devina Weiss (27) sind seit fünf Jahren ein Paar, sie haben einen Leitfaden für SM-Paare geschrieben: «Liebe auf den ersten Hieb» (Schwarzkopf&Schwarzkopf). Dominik Schenk ist der Meister, Devina Weiss die Sklavin. Die beiden leben in einer mittelgrossen Stadt – sie bezeichnen sich selber als Normalos.
SonntagsBLICK: Sie haben die Leidenschaft für Sadomasochismus in Ihrem Buch wie folgt zusammengefasst: Liebe auf den ersten Hieb. Gilt das Fazit auch für den Film «Fifty Shades of Grey»? Devina Weiss: Nur bedingt. Der Film ist ja vor allem ein modernes Märchen. Frau trifft jungen, reichen, attraktiven Mann mit dunkler Seite. Er ist aufmerksam, kümmert sich um seine Geliebte. Welche Frau träumt schon nicht davon? SM-Sex gibts in der Story einfach mit dazu, er ist aber pure Nebensache. Der Film ist brav, bieder und nett – mehr nicht.
Dominik Schenk: Der Film öffnet den Menschen immerhin ein Türchen in unsere Welt. Sie können sich mit ihr auseinander setzen, ohne gleich in den Verdacht zu geraten, pervers zu sein. Mit meinem Leben hat er aber wenig zu tun.
Gefällt Ihnen am Kassenknüller rein gar nichts?
Weiss: Doch. Die Sinneskrise der Hauptdarstellerin ist identisch. Deren Verzweiflung, das Hadern, ob sie sich auf Mr. Grey und auf SM einlassen soll. Mir erging es genauso. Am Anfang erschreckt man sich gewaltig, wenn man diese Prägung in sich entdeckt. Ein beschwerlicher, aber schöner Weg.
Schenk: Was auch gut ist. Der Film holt das Thema endlich mal aus dem dunklen Keller.
Wie gross ist denn das Interesse an SM ausserhalb der Kinosäle?
Schenk: Riesig. Wir sind immer wieder selber überrascht, wie laut die Szene brummt – gerade bei jungen Menschen bis 30. SM ist längst mitten in der Gesellschaft angekommen, nur weiss sie nichts davon.
Weiss: An einschlägigen Partys treffen sich schon mal 900 Menschen. Es gibt Stammtische, Beratungsstellen für 18-Jährige, Clubs und Foren. Nur findet alles in einem geschlossenen System ab, wie einst in der Schwulenszene.
Das dürfte Moralisten nicht sonderlich beruhigen: Pervertiert die Welt?
Schenk: Nö, keine Sorge. Die Zahl der SM-Interessierten nimmt nicht linear zu – nur trauen sich heute mehr Menschen, zu ihren Vorlieben zu stehen und diese auch auszuleben. Die Moral hat sich glücklicherweise stark verändert, sie lässt mehr zu. Und das Internet trägt viel zur Emanzipation sexueller Subkulturen bei.
Wie definieren Sie Perversion?
Weiss: Darunter fällt alles, was mir die Gesellschaft oder ein Partner aufzwingt. Ich bin naturgegeben devot, habe Dominik am Anfang unserer Beziehung die Einwilligung gegeben, dass er mit mir tun kann, was immer er will. Damals habe ich ihm aber auch deklariert, was nicht geht. Und ich habe grosses Vertrauen in ihn, dass er die Grenzen respektiert. Vertauen ist der wichtigste Baustein in SM-Beziehungen.
Schenk: Ich tue mich mit dem Begriff schwer, weil er in der Moral wurzelt. Und das Moralverständnis verändert sich ja ständig. Was heute pfui ist, ist morgen ok. Nur sollte man nicht darauf warten, bis das, was in einem steckt, für andere in Ordnung geht. Sondern es gegen alle Vorbehalte leben. Dieser Schritt ist schwierig, aber er lohnt sich.
Sie sagen, die SM-Szene sei riesig: Wie müssen wir uns diese vorstellen?
Schenk: Sie ist da und überall, in der ganzen Bandbreite. Mal treffen wir uns auf ein Bier in der Kneipe, dann zu hause zum Kaffee: Dann sitzen die Dominatoren auf dem Sofa und die Sklaven zu ihren Füssen. Natürlich gibts auch Clubs, in denen wir uns zu gemeinsamen Sex-Session treffen. In unserem Leben ist der Sex halt wichtiger.
Entschuldigen Sie, aber das klingt bizarr.
Weiss: Ich weiss, Aussenstehende schrecken. Mir gings ja am Anfang meiner SM-Leidenschaft genauso. Mir machten die Keller und die vielen Instrumenten auch Angst. Bis man dort ankommt, ist es aber ein langer Weg. Wir sind ja keine getriebene Monster, wir leben einzig unsere Sexualität nach eigenen Spielregeln aus – so wie alle andern hoffentlich auch.
Schenk: Es ist wie beim Autofahren – sie steigen auch nicht nach den ersten Fahrstunden in den Ferrari und jagen über den Nürburgring. Man versucht Dinge aus, verwirft sie wieder. Insofern ist unsere Sexualität ehrlicher als kommuner Blümchensex. Wir müssen klar deklarieren: Das will ich, jenes nicht.
Sie sagen, Sex sei in der SM-Szene wichtiger. Inwiefern: Länger, intensiver, öfters?
Schenk: Sessions, in denen wir miteinander spielen, können schon mal drei Stunden dauern, dabei kümmere ich mich nonstop um Devina, meine Sklavin. Ich will ihr ja nicht schaden. Danach besprechen wir jeweils, was uns gefallen oder missfallen hat. Nennen Sie mir ein normales Paar, welches das macht.
Klingt anstrengend.
Weiss: Ist es anfangs auch. Top und Bottom, der dominante und der devote Part, müssen sich erst finden. Müssen allfällige Regeln und Codewörter definieren. Dafür wirds später leichter. Auch darin unterscheiden wir uns von kommunen Hetero-Paaren: Die haben anfangs wilden Sex, der später lahmt. Bei uns ist es umgekehrt.
Wie wichtig ist im SM-Sex der Orgasmus?
Schenk: Die Schritte davor sind bei uns wichtiger, also lustbetonter. Gut möglich, dass ich nicht zum Höhepunkt komme. Obwohl es Dominatoren natürlich schon gerne sehen, wenn die Sklavin zum Höhepunkt kommt. Vor allem, wenn wir mit anderen spielen.
Sie teilen Ihre Sklavin mit anderen Männern: kein bisschen eifersüchtig?
Schenk: Nein, ich bin ja immer mit dabei. Auch diesbezüglich konnten wir die allgemeingültige Moral überwinden und unsere eigene finden. Keine und keiner kommt dabei zu schaden, alles ist selbstgewollt.
Endet das Spiel mit Macht und Unterwerfung vor der Käfigtür?
Schenk: Bei uns nicht: Ich bin 24 Stunden lang der dominante Part in der Beziehung, Devina meine Skalvin. Andere Paare beschränken diese Rollen auf den Sex oder auf bestimmte Zeiten. Wir nicht.
Lässt sich das im Alltag leben?
Weiss: Es ist ja nicht so, dass ich rund um die Uhr in Lack und Leder auf dem Küchenboden rumschrubbe. Wir integrieren die Rollen verschieden stark in den Alltag, je nach Situation und Umgebung.
Wie beispielsweise?
Schenk: Ich bestelle im Restaurant immer, was sie essen soll. Ich gehe immer zuerst durch eine Tür. Ich verwalte ihr Geld, sage ihr wie viel Geld sie ausgeben darf. Und morgens kontrolliere ich, ob die ausgewählten Kleider taugen. Und ist sie mal nicht artig und sind wir alleine, muss sie in den Hundekorb. Oft ist nur ein Blick notwendig, eine Geste. Ich lese Devina mittlerweile wie ein offenes Buch.
Weiss: Ich bekomme genau das, was ich will. Insofern lebe ich das, wofür Frauenrechtlerinnen so lange kämpften: eine selbstbestimmte Sexualität. Auch wenn ich Sklavin bin.
Wie lesen Aussenstehende ihre Rollenspiele?
Schenk: Ob sie verstehen, weshalb ich nach dem Essen sitzen bleibe und Devina die Arbeit überlasse? Ich denke schon, dass sich dabei manche denken: so ein Macho-Arsch.
Weiss: Viele kriegen aber unsere Beziehung erst gar nicht mit. Und das ist gut so.
Wissen zumindest Ihre Liebsten von Ihrer Prägung?
Weiss: Ein paar Freunde, meine Mutter. Sie ist ein wichtiger Teil meines Lebens, ich wollte sie nicht belügen. Was mich immer wieder erstaunt: meist reagieren die Leute gelassen auf mein Outing – und mit Neugier.
Schenk: Ich halte es anders: Ich rede mit anderen nicht über meine Sexualität – ich will nicht darauf reduziert werden. Hauptsächlich bin ich ja Mensch. Gehe einkaufen, schaue Fernsehen, mache ganz normale Sachen. Die Sexualität ist zwar ein wichtiger Teil von mir und ich bin im Reinen mit ihr – aber ich will nicht Galionsfigur und Aufklärer einer Szene sein. Deshalb treten wir ja auch anonymisiert auf: mit Maske und unter Pseudonym.
Wie erklären Sie den Menschen, weshalb ein Hundekorb in der Küche steht, obwohl Sie keinen Hund besitzen?
Schenk: Kommt jemand zu Besuch, räumen wir ihn weg. Auch all die anderen Spielzeuge sind weggeschlossen. Die Irritationen wären einfach zu gross.
Weiss: Deshalb rückt ja die Szene auch derart eng zusammen. Weil wir uns hier nicht erklären müssen. Das ist ein wenig traurig, macht aber Sinn.
Letzte Fragen: Kann man in einem solchen Machtgefälle überhaupt streiten?
Schenk: Viele Fragen stellen sich uns erst gar nicht – gerade wegen unseres Rollenverständnis. Aber natürlich streiten wir, und zwar herzhaft und oft.
Weiss: Wenn mir etwas nicht passt, sage ich das schon. Nur bleibt es ihm überlassen, wie er sich entscheidet.
Und: Wie oft gewinnt die Sklavin?
Schenk: Halbe, halbe. Meine Frau meckert einfach gerne, darauf muss ich nicht jedes Mal eingehen.