Familienzwist und Geisterstädte
«Das iranische Regime befindet sich in der grössten Krise aller Zeiten»

Die Proteste erreichen ein neues Extrem: In über 50 iranischen Städten bleiben die Shops, Restaurants und traditionellen Bazare geschlossen. Zudem stellt sich die Schwester des obersten Führers öffentlich hinter die Demonstrierenden und fordert den Sturz des Regimes.
Publiziert: 08.12.2022 um 21:11 Uhr
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Aktualisiert: 22.12.2022 um 15:29 Uhr
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Die Streiks gehen in eine neue Runde: Drei Tage lang bleiben in der iranischen Hauptstadt Teheran die Läden geschlossen.
Foto: Anadolu Agency via Getty Images
Tanja von Arx
Tanja von ArxAuslandredaktorin

Unheimlich. So lassen sich die vergangenen Tage im Iran beschreiben. Zahlreiche Shops, ebenso wie Restaurants und die traditionellen Bazare blieben von Montag bis Mittwoch geschlossen – und das in über fünfzig Städten. Sowohl die Hauptstadt Teheran als auch die Städte Isfahan, Shiraz oder Tabriz glichen Geisterstädten. Das öffentliche Leben stand vollkommen still.

Die «New York Times» berichtet vom «grössten Generalstreik seit Jahrzehnten». «Diese Eintracht ist bemerkenswert», wird ein anonymer Restaurantbesitzer aus Isfahan zitiert. Die Aktion habe denen, die nicht an den Protesten teilgenommen hätten, die Möglichkeit gegeben, ihre Solidarität zu zeigen.

Auch ein anonymer Taxifahrer aus Teheran sagt: «Wir alle müssen Opfer erbringen.» Junge Leute hätten ihr Blut und ihr Leben in dieser Revolution gegeben. «Ich mache das Minimum.»

«Die Zugeständnisse des Regimes bringen nicht viel»

Seit dem Tod von Mahsa Amini (†22) bei einem Einsatz der Sittenpolizei gehen die Leute auf die Strasse. Zuerst lehnten sich vor allem Frauen gegen die Kopftuchpflicht auf, mittlerweile fordern sämtliche Bevölkerungsschichten den Sturz des Regimes. Laut Iran-Experte Mahdi Rezaei-Tazik (39) von der Universität Bern haben die kürzlichen Zugeständnisse des Regimes zum Abzug der Sittenpolizei nicht viel gebracht. «Die Proteste werden weitergehen», sagt Rezaei-Tazik zu Blick.

Die Protestierenden würden sich denn auch durch das harte Vorgehen des Regimes nicht einschüchtern lassen, das unter anderem bei den Demos in Menschenmengen schiessen lässt oder den Tod von Kindern in Kauf nimmt. Rezaei-Tazik: «Die Menschen wollen eine Demokratie, in der Religion und Staat getrennt sind.»

Selbst Badri Hosseini Chamenei, Schwester des obersten iranischen Führers Ayatollah Ali Chamenei (83), stellt sich hinter die Protestbewegung. Ihr Sohn hat kürzlich in Paris einen Brief veröffentlicht, in dem sie die «despotische» Führung verurteilt, wie «Der Spiegel» berichtet. Auch auf Twitter wurde der Brief in mehreren Sprachen publik gemacht. «Ich hoffe, den Sturz dieser Tyrannei bald zu sehen», heisst es darin.

«Das Regime bringt nichts als Leid und Unterdrückung»

Badri Hosseini Chamenei wirft der Staatsführung vor, den Iranern nur Leid und Unterdrückung gebracht zu haben. Sie ruft zudem die Revolutionsgarden dazu auf, ihre Waffen niederzulegen und sich dem Protest anzuschliessen.

Iran-Experte Rezaei-Tazik sagt zwar, ein Teil der Familie von Ayatollah Ali Chamenei habe schon immer zu diesem in Opposition gestanden. «Aber die Äusserung der Schwester in dieser Form ist schon ein drastischer Schritt.» Es sei ein riesiger Schlag gegen das Regime. «Dieses befindet sich in der grössten Krise aller Zeiten.» Und zwar in einer grundlegenden, was seine Existenz anbelange.

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