Familie klagt an: «Staat hat Blut an den Händen»
Ärzte verweigern Abtreibung – Polin (†37) tot

Eine schwangere Frau kam in Polen ums Leben. Ärzte hatten die Abtreibung zuvor verweigert. Der Fall löst erneut Empören über das fast vollständige Abtreibungsverbot im Land aus. Die Familie beklagt nun: «Der Staat Polen hat Blut an den Händen!»
Publiziert: 27.01.2022 um 15:26 Uhr
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Aktualisiert: 27.01.2022 um 19:53 Uhr
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Agnieszka T. (†37), starb, weil ihr eine Abtreibung verwehrt wurde. Das Bild veröffentlichte ihre Familie und wollen damit auf Schicksal von T. aufmerksam machen.
Foto: Facebook / Wioletta Paciepnik

Ein Jahr nach Inkrafttreten des fast vollständigen Abtreibungsverbots in Polen haben Menschenrechtsorganisationen eine vernichtende Bilanz des Gesetzes gezogen. Die Entscheidung habe «verheerende Auswirkungen auf das Leben von Frauen» gehabt, erklärten mehrere Organisationen am Mittwoch, darunter Amnesty International und Human Rights Watch.

Am Dienstag wurde erneut eine schwangere Polin nach Angaben ihrer Familie Opfer des Abtreibungsgesetzes. Agnieszka T.* (†37), Mutter von drei Kindern und mit Zwillingen schwanger, sei mit Schmerzen im Unterleib ins Spital eingeliefert worden, berichtete ihre Familie auf Facebook. Einer der Föten sei kurz vor Weihnachten gestorben.

«Die Entfernung des toten Fötus wurde nicht genehmigt, da dies nach polnischem Recht strengstens verboten ist», so die Familie. Die Ärzte hätten stattdessen acht Tage lang darauf gewartet, «dass sich die Vitalfunktionen des anderen Zwillings von selbst stabilisieren». Doch Agnieszkas Zustand habe sich «schnell verschlechtert». Das Krankenhaus wartete, bis auch das Herz des zweiten Zwillings eine Woche später zu schlagen aufhörte. Dann wurden weitere zwei Tage abgewartet, bevor die Schwangerschaft am 31. Dezember beendet wurde.

«Tragische Folgen» für viele Frauen und ihre Familien

Agnieszka starb am 25. Januar, nachdem sich ihr Gesundheitszustand wochenlang weiter verschlechtert hatte. Ihre Familie vermutet, dass sie an den Folgen eines septischen Schocks gestorben ist, doch das Krankenhaus hat in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung keine Angaben zur Todesursache gemacht.

Die Familie der jungen Frau schreibt nun auf Facebook: «Der polnische Staat hat Blut an den Händen». Ihr Tod löste bei der Opposition und bei Frauenrechtsaktivistinnen Empörung aus.

Die «extremen Hürden» für Schwangere seien erhöht worden, kritisierten die Organisationen. Dies habe «tragische Folgen» für viele Frauen und ihre Familien gehabt. Nach Angaben der Organisationen haben sich mehr als 1000 Polinnen an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt, um das von der nationalkonservativen Regierung vorangetriebene Gesetz anzufechten.

Pro Jahr etwa 200'000 illegale Abtreibungen

Polens Oberstes Gericht hatte im Oktober 2020 die Abtreibung schwer fehlgebildeter Föten für verfassungswidrig erklärt und damit das ohnehin schon sehr restriktive Abtreibungsrecht weiter verschärft.

Tausende Polen hatten in der Folge gegen die Abtreibungsregeln protestiert, insbesondere nach dem Tod einer jungen Frau, den Frauenrechtsgruppen auf die strengen gesetzlichen Vorschriften zurückführten.

Schon vor Inkrafttreten des Gesetzes hatte es im mehrheitlich katholischen Polen jährlich weniger als 2000 legal vorgenommene Schwangerschaftsabbrüche gegeben. Frauenrechtsorganisationen schätzen jedoch, dass pro Jahr etwa 200'000 Polinnen illegal abtreiben oder dafür ins Ausland gehen. (AFP/chs)

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