BLICK: Herr Mansour, wurden Sie von den Anschlägen in Grossbritannien überrascht?
Ahmad Mansour: Überhaupt nicht. Es gibt leider viele hasserfüllte Jugendliche, so dass man damit rechnen musste. Die Salafistenszene ist stark gewachsen.
Warum diese Zunahme?
Es ist eine neue Generation von IS-Anhängern und anderen Extremisten, die Parallelgesellschaften aufbauen und junge Leute radikalisieren. Viele Jugendliche sind auf der Suche nach einer Orientierung, einer Identität, einer Zugehörigkeit. Die sozialen Medien unterstützen das Ganze: Wenn man nach Islam sucht, findet man viel mehr Seiten über extremen als über moderaten Islam.
Ist das Internet schuld an der neuen extremen Strömung?
Ein Mensch kann nur direkt durch einen andern Menschen radikalisiert werden. Aber das Internet liefert die Basis und die Inhalte, wo man sich darüber informieren kann.
Warum sind es meistens nicht zugezogene, sondern im Westen aufgewachsene Personen, die radikal werden?
Auch viele Vertreter der älteren, zugezogenen Generation waren nicht liberal – nur haben sie ihren Radikalismus nicht ausgelebt. Die Jungen sind selbstbewusster, sie suchen die Provokation, sie getrauen sich, sich aufzulehnen. Zudem werden sie von eingeflogenen Imamen beeinflusst.
In Grossbritannien sind innert zehn Jahren rund 100’000 Briten – mehrheitlich Frauen – zum Islam konvertiert. Warum?
Es gibt eine unglaublich starke Anwerbung. Die Islamisten haben sehr gute Sozialarbeiter, welche die Schwächen von labilen Personen erkennen. Sie versprechen ihnen Halt und Geborgenheit.
Die Zahl der Anschläge nimmt massiv zu. Warum kommt das so plötzlich?
Die Politik hat völlig ignoriert, dass eine extreme Ideologie heranwächst. Auch die vom Ausland finanzierten Moscheen wurden nicht überwacht. Man versteckte sich immer hinter der angeblichen Religionsfreiheit. So konnte sich der Hass ungehindert verbreiten.
Religionsfreiheit wird im Westen aber gross geschrieben.
Religionsfreiheit gilt nur, bis ich anfange, andere zu etwas zu zwingen. Religionsfreiheit bedeutet, dass ich eine Religion ausübe, ohne die Meinungsfreiheit anderer einzuschränken.
Anschläge sind das eine. Aber wie äussert sich der Extremismus im Alltag?
In Grossbritannien existiert eine grosse Parallelgesellschaft, welche die westlichen Werte ablehnt. Es gibt ganze Viertel, in denen andere Werte herrschen. Frauen werden diskriminiert, Schulen unterwandert.
Warum hat gerade Grossbritannien mit dem Islamismus ein so grosses Problem?
Man hat mit Islamisten zusammengearbeitet, statt sie zu bekämpfen. Man meinte, Terror bestehe aus Anschlägen, hat aber die Ideologie ignoriert. Jedes Land, das nicht begreift, dass es beim Islamismus um eine Ideologie geht, wird die Situation nicht bewältigen können.
Wie muss man das Problem denn angehen?
Wenn man es ernsthaft angehen will, muss man den politischen Islam bekämpfen. Nur dagegen sein, bringt nichts. Man muss selbstsicher auftreten und das Übel an der Wurzel packen. Es reicht auch nicht, wenn Muslime nach Anschlägen nur Mahnwachen aufstellen. Sie müssen sich aktiv um eine Reform des Islam bemühen.
Das heisst?
Es braucht neue Schulen, welche solche Themen erkennen und diskutieren, welche Werte vermitteln und Dialogforen schaffen. Es braucht ein klares Bekenntnis zu unseren Werten, eine bessere Polizei, einen besseren Verfassungsschutz. Die jüngsten Anschläge waren leider nicht die letzten in Europa. Das Potenzial ist gross, dass noch viel mehr passiert.
Wie beurteilen Sie die Gefahr durch Salafisten in der Schweiz?
Ich bewundere die Schweiz: Sie stellt klare Regeln auf und lässt sich nicht von Diskussionen abschrecken. Die Zahl der Gefährder ist zwar relativ klein, aber auch in der Schweiz gibt es radikale Tendenzen, so etwa den Islamischen Zentralrat. Man muss solche Strömungen ernst nehmen, die Schweiz ist keine Insel der Glückseligen.
In der Schweiz wird an mehreren Orten über Verbote von islamischen Standaktionen diskutiert. Was halten Sie davon?
An diesen Ständen wird nicht nur der Koran verteilt, sondern eine Ideologie des Hasses verbreitet. Verbote sind sinnvoll, wir dürfen dieser Ideologie keinen Platz geben.