Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft der Islamistengruppe Boko Haram schwere Verbrechen während eines blutigen Angriffs auf die Stadt Baga im Nordosten von Nigeria vor. Die Kämpfer hätten unter anderem eine Schwangere während der Entbindung erschossen. Hunderte Menschen seien am 3. Januar ermordet worden. Die Terror-Sekte habe Zehntausende in die Flucht getrieben.
Experten befürchten, dass damit die Wahlen vom 14. Februar in Gefahr geraten könnten. Präsident Goodluck Jonathan (57) strebt eine zweite Amtszeit an. Seine Partei, die People's Democratic Party (PDP), ist seit dem Niedergang einer Militärdiktatur Ende der Neunzigerjahre konkurrenzlos. Im Februar könnte die Opposition Jonathans Macht erstmals ernsthaft bedrohen.
Zehn Jahre Gewalt
Blick.ch sprach mit Adama Ousmanou vom Zentrum für Afrikastudien der Universität Basel über die Entstehung von Boko Haram sowie Organisation und Ziele der Terror-Sekte. Ousmanou: «Über die letzten zehn Jahre erlebten die nördliche Region von Nigeria und Kamerun einen von der sektiererischen Gruppe Boko Haram angezettelten Anstieg terroristischer Gewalt.»
Die Gruppe, deren Name übersetzt «westliche Bildung ist eine Sünde» bedeutet, sei erstmals im Jahr 2002 in Erscheinung getreten. Es gebe jedoch Hinweise, dass Vorläufer der Gruppe bis ins Jahr 1995 zurückreichten. «Die genaue Anzahl ihrer Mitglieder ist nicht bekannt», sagt der Afrika-Forscher. Die Anhänger der Organisation kommen laut Ousmanou aus den 19 nördlichen von insgesamt 36 Bundesstaaten Nigerias, aus Niger, Tschad, Kamerun und dem Sudan.
«Hauptsächlich unzufriedene Jugendliche»
«Ihre Mitglieder sind hauptsächlich unzufriedene Jugendliche, arbeitslose Schulabgänger und ehemalige Almadschiris.» Bei Almadschiris handelt es sich um Strassenkinder, die in die Obhut von islamischen Lehrern gegeben werden. Diese «leben und lernen unter schrecklichen Umständen», erklärt Ousmanou. Das mache sie anfällig für eine Rekrutierung durch extremistische Sekten wie Boko Haram.
Die Terror-Gruppe wolle verhindern, dass der christliche Glaube im Norden des Landes praktiziert wird. Sie wolle über Nord-Nigeria regieren, das normale Leben stören, der Zentralregierung und den nigerianischen Sicherheitskräften schaden. Dies alles mit dem «Ziel, einen Massenaufstand durch die lokale Bevölkerung zu entzünden».
Erpressung, Überfälle, ausländische Geldquellen
Gemäss einer Liste von Präsident Jonathan finanziert sich Boko Haram durch Entführungen und Erpressungen, mit Hilfe von Banküberfällen und Unterstützung von lokalen Eliten sowie aus Ländern wie Sudan, Pakistan, Saudi-Arabien, Jemen und Katar. Ousmanou erinnert an eine Aussage von François Hollande am Nigeria-Gipfel im Mai 2014 in Paris: «Der französische Präsident bat den Emir von Katar, jegliche finanzielle Unterstützung von Boko Haram zu stoppen.»
Die Krise um Boko Haram habe sich verschlimmert, weil die verschiedenen Sicherheitsorgane nicht miteinander kooperierten, die Zentralregierung keine Rechtssicherheit garantieren könne und nicht im Stande sei, Opfern der Terror-Sekte sofort zu helfen. Die Regierung sei zudem unfähig, die nötigen Informationen zu sammeln, um Angriffen zuvorzukommen.
Um Boko Haram erfolgreich zurückzudrängen, muss die nigerianische Regierung laut Ousmanou insbesondere die folgenden Anstrengungen unternehmen: Arbeitslosigkeit bekämpfen, die Kommando-Struktur der Sekte zerstören, korrupte Sicherheitsleute bestrafen, Grenzen besser kontrollieren.