Experte zu Terror in Wien
«Das hätte auch in der Schweiz passieren können»

Johannes Saal (33) forscht an der Universität Luzern zum Thema Dschihadismus im deutschsprachigen Raum. Für ihn war der Anschlag vom Montag in Wien nur eine Frage der Zeit und hätte sich auch hierzulande zutragen können.
Publiziert: 03.11.2020 um 19:56 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2020 um 15:54 Uhr
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«Vorgehensweise des Täters war wahllos»: Dschihadismus-Experte Johannes Saal von der Universität Luzern.
Foto: unilu.ch
Georg Nopper

Weshalb ist es ausgerechnet in Wien zu einem islamistischen Terroranschlag gekommen?
Das ist nicht grundsätzlich überraschend. In Österreich existiert das Problem des islamischen Extremismus seit Jahren. Das zeigte sich unter anderem in den extrem hohen Ausreisezahlen von Dschihadisten, die nach Syrien gereist sind. Diese sind zwar in der Zwischenzeit nicht unbedingt alle wieder nach Österreich zurückgekehrt. Trotzdem kann das als Gradmesser dafür angesehen werden, wie viele radikalisierte Personen sich in einem Land aufhalten.

Weshalb passierte der Anschlag gerade jetzt?
Wien hatte eine zentrale Rolle im Netzwerk der Dschihadisten im deutschsprachigen Raum. Wer sich aus diesem Einzugsgebiet dem Islamischen Staat (IS) in Syrien anschliessen wollte, der brauchte Kontakte zu Schleusernetzwerken, falsche Papiere, musste sich Kontakte im Zielland verschaffen. Der Wiener Prediger Mirsad Omerovic, auch bekannt als Ebu Tejma, spielte dabei eine zentrale Rolle. Da nach zahlreichen Verhaftungen in Europa und aufgrund der sich beruhigenden Lage in Syrien eine Ausreise für Dschihadisten in letzter Zeit nicht mehr so einfach möglich war, blieben radikalisierte Personen vermehrt in Europa. Obwohl hier vorübergehend weniger Anschläge verübt wurden, bestand die Problematik unterschwellig weiterhin. So hat auch der IS seine Anhänger dazu aufgefordert, in Europa tätig zu werden.

Warum Wien? Warum jetzt?
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Es war also nur eine Frage der Zeit?
Es war zu befürchten, dass es in Europa früher oder später wieder zu Anschlägen kommt. Wir beobachten beim Terrorismus häufig ein wellenartiges Auftreten. Das mag damit zu tun haben, dass eine Tat jeweils weitere Täter dazu inspiriert, selbst Anschläge durchzuführen. Ich glaube, dass die Thematik weiter hochkocht.

War Wien eine Folge der Terrorangriffe in Nizza? Ist der Anschlag als Racheaktion im Rahmen der Diskussion um Karikaturen des Propheten Mohammed in Frankreich zu sehen?
Es ist noch zu früh, um hier gesicherte Schlüsse zu ziehen. Ich glaube aber nicht, dass es einen direkten Zusammenhang gibt mit Frankreich. Dass der Täter in Wien mit einem Maschinengewehr bewaffnet war, deutet auf eine gewisse Vorlaufzeit und Koordination hin: Eine solche Waffe ist nicht ganz einfach zu beschaffen. Es sieht für mich deshalb danach aus, dass der Täter sich unabhängig von den Ereignissen in Frankreich auf den Anschlag vorbereitete. Dass er nur wenige Tage nach dem Anschlag von Nizza zur Tat schritt, könnte auch damit zu tun haben, dass Österreich am Dienstag in einen coronabedingten Lockdown ging und am Montag zum letzten Mal viele Leute in den Strassen unterwegs waren.

Gegen wen richtete sich die Tat?
Das Feindbild der Dschihadisten ist nicht unbedingt davon abhängig, ob sich ein Land militärisch in einer Konfliktregion mit islamischem Hintergrund engagiert. Vielmehr geht es für sie ganz generell um den Kampf gegen jeden, der nicht als wahrer Muslim erachtet wird. Dieser Anschlag hätte auch in der Schweiz passieren können. Man darf nicht vergessen, dass in einem IS-Video auch schon eine Schweizer Flagge gezeigt wurde. Die Vergangenheit hat zudem gezeigt, dass vermutlich auch hierzulande schon Anschläge geplant waren. Die Vorgehensweise des Täters in Wien war wahllos – es ging ihm offenbar einfach darum, möglichst viele Menschen umzubringen.

Die Kantonspolizei Zürich verhaftete in Winterthur zwei Männer, die mit dem Attentäter von Wien in Kontakt standen. Was hat das für die Schweiz zu bedeuten?
Der Wien-Bezug zeigte sich bereits im Prozess gegen den Winterthurer IS-Rekrutierer Sandro V., der mit dem erwähnten Prediger in Wien in sehr engem Kontakt stand. Die Verhaftung der beiden Männer in Winterthur bestätigt meine Vermutung, dass es zwischen der Dschihadisten-Szene in Winterthur und jener in Wien weiterhin Verbindungen gibt. Auffällig ist auch der Umstand, dass viele Mitglieder der Winterthurer Szene albanischer Abstammung sind. Auch beim Attentäter von Wien, der aus Nordmazedonien stammt, handelt es sich um einen Albaner.

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