Über 1500 der rund 6000 Angestellten des deutschen Billigfleisch-Herstellers Tönnies haben sich innert kurzer Zeit mit dem Coronavirus infiziert – und einen Skandal von immenser Tragweite ausgelöst. Jetzt gerät auch Deutschlands Ex-Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (60) in Zusammenhang mit Billigfleisch-Giganten in die Kritik.
Der einstige SPD-Spitzenpolitiker Gabriel hatte während drei Monaten ein Mandat für den Schlachthof Tönnies. Er hat von März bis Mai für den Skandal-Betrieb gearbeitet. Laut dem ARD-Politikmagazin «Panorama» war seine Tätigkeit eigentlich auf zwei Jahre hinaus angelegt. Er sollte Tönnies aufgrund drohender Exportprobleme in Zusammenhang mit der afrikanischen Schweinepest beraten.
Gabriel findet es «überzogen», Tönnies-Chef zum Buhmann für Corona-Debatte zu machen
Seine Tätigkeit habe er aber «aufgrund einer schwierigen Erkrankung» und einer notwendig gewordenen komplizierten Operation auf Ende Mai beenden müssen. Zum damaligen Zeitpunkt sei für Gabriel nicht klar gewesen, wann er sein Berater-Mandat wieder aufnehmen könne. Im Juni dann folgte der Corona-Skandal bei Tönnies.
Im Interview mit der «Bild»-Zeitung hat Gabriel am Donnerstag klar Stellung bezogen und Tönnies – trotz des Corona-Skandals – öffentlich verteidigt. «Ich glaube, dass Clemens Tönnies gerade das Gesicht für den gesamten Corona-Frust in der Bundesrepublik ist. Es gibt berechtigte Kritik an den Arbeitsbedingungen – in der gesamten Fleischindustrie. Dass er jetzt zum Buhmann für die gesamte Corona-Debatte gemacht wird, das finde ich ehrlich gesagt etwas überzogen», so Tönnies-Ex-Berater zur «Bild». Dennoch räumt Gabriel ein, dass sich in puncto Hygiene und Arbeitsbedingungen beim Billigfleisch-Hersteller etwas ändern müsse.
Ex-Tönnies-Berater hält 10'000 Euro für keinen besonders hohen Lohn
Für seine Tätigkeit als Berater kassierte er monatlich 10'000 Euro plus Reisezulagen. «Für normale Menschen sind 10'000 Euro viel Geld. Aber in der Branche ist das kein besonders hoher Betrag. Ich bin kein Politiker mehr», rechtfertigte er sein einstiges Tönnies-Gehalt gegenüber dem «Spiegel».
Der Ex-Bundeswirtschaftsminister sieht nichts Problematisches an seiner einstigen Tönnies-Tätigkeit. Im Gegenteil: Schliesslich sei Gabriel, wie er gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland erklärte, erst zwei Jahre nach seiner Ministertätigkeit von Tönnies angesprochen worden, wie «Focus Online» berichtet. Es habe daher weder Interessenskonflikte noch rechtliche Probleme gegeben. Zumal er zu jenem Zeitpunkt auch nicht mehr Mitglied des Bundestags gewesen sei.
Scharfe Kritik an Tönnies-Tätigkeit von Ex-Bundeswirtschaftsminister
Mehrer Politiker aus den Reihen der SPD üben jedoch Kritik an Gabriel in Zusammenhang mit dem Tönnies-Skandal. So erklärt etwa der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil gegenüber «Focus Online»: «Rechtlich ist es in Ordnung, was Sigmar Gabriel gemacht hat. Aber politisch finde ich es fragwürdig. Da hätte ich ihm mehr Gespür zugetraut.»
Und auch die SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken (58) und Norbert Walter-Borjans (67) attackieren Gabriel in einem gemeinsamen Statement für das Redaktionsnetzwerk Deutschland. «Ehemalige Vorsitzende sind der SPD keine Rechenschaft schuldig, wenn sie nach ihrer aktiven Zeit Tätigkeiten für andere aufnehmen. Für jeden aufrechten Sozialdemokraten ergibt sich dabei aus unseren Grundwerten, an wessen Seite man sich begibt und wo man besser Abstand hält.»
Gabriel selbst soll wegen der heftigen Kritik an seiner Person und seiner einstigen Tätigkeit für Tönnies über seine Parteikollegen enttäuscht sein. Zumal sie sich, anders als Bundeskanzlerin Angela Merkel (65, CDU), nicht einmal nach seinem gesundheitlichen Zustand erkundigt hätten. (rad)