Ex-Rugbyspieler spricht über Anden-Absturz von 1972
«Wir brauchten Eiweiss und assen unsere Kollegen»

1972 stürzte in den Anden eine junge Rugby-Mannschaft ab. Nach 72 Tagen konnten 16 Männer lebend geborgen werden. Eduardo Strauch Urioste (71) von ihnen spricht mit BLICK nun von der schwierigsten Entscheidung seines Lebens.
Publiziert: 29.09.2018 um 16:13 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 23:12 Uhr
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Originalfoto: Die Rugby-Mannschaft nach dem Absturz in den Anden.
Foto: LatinContent/Getty Images
Désirée Schibig

Über 40 Jahre behielt der Uruguayer Eduardo Strauch Urioste (heute 71) für sich, was er bei einer der unglaublichsten Flugzeugkatastrophen durchleben musste. Nun sprach er erstmals in der Schweiz, wie er 1972 mit einer Fairchild Hiller 227 der Fuerza Aérea Uruguaya in den Anden abstürzte. Und wie er mit den restlichen 15 Überlebenden Fleisch von ihren toten Kollegen essen mussten, um die 72 Tage bis zur Rettung zu überleben. 

Es ist der 13. Oktober 1972. Strauch ist Mitglied des jungen Rugby-Teams «Old Christian’s Club» aus Montevideo, das ein Flugzeug chartert, um in Santiago de Chile ein Freundschaftsspiel auszutragen. Ein verhängnisvoller Pilotenfehler setzt dem Plan jedoch ein jähes Ende. Die Maschine zerschellt an einem Berghang und stürzt mitten in den Anden auf einem 4000 Meter hohen Gletscher ab. Von den 45 Menschen an Bord sterben zwölf beim Absturz, fünf weitere überleben die erste Nacht bei minus 30 bis 40 Grad nicht. Das Unglück wurde 1993 von Hollywood mit «Alive! – Überleben» verfilmt.

Kannibalismus - um zu überleben!

Die Ereignisse nach dem Absturz gleichen einem makabren Alptraum. Am achten Tag hören die Männer in einem kleinen Radio, dass die Suche nach ihnen eingestellt worden ist. Das bisschen Schokolade, das einzige Nahrungsmittel an Bord, ist längst aufgegessen, als sie den Gedanken auszusprechen wagen: Wir müssen die Körper unserer toten Freunde essen. Strauch erzählt gegenüber BLICK: «Es war eine Entscheidung über Sterben oder Weiterleben. Aber die einzigen Proteine, die wir essen konnten, waren in diesen Körpern. Diese Entscheidung war unglaublich schwierig, aber danach war es für mich kein Problem mehr.»

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Er und seine Leidensgenossen brechen eines der grössten zivilisatorischen Tabus, um zu überleben. «Wir schlossen einen Pakt», berichtet Strauch weiter, «wir boten uns einander an, falls wir sterben würden. Die ersten zwei, drei Tage wies mein Körper das Fleisch zurück, danach gewöhnte ich mich schnell daran. Das kann man sich schwer vorstellen, aber wir lösten uns komplett von der Vorstellung, was wir da assen. Sonst hätten wir das nicht durchgestanden.»

«Die Liebe hielt uns am Leben»

In der Nacht auf den 31. Oktober wird der Flugzeugrumpf, der etwas Schutz vor Wind und Kälte bot, komplett von einer Lawine verschüttet. Wieder sterben acht Menschen. Die Hoffnung auf Rettung schwindet, der Hunger und die extreme Kälte setzen den Männern immer mehr zu. Weitere vier sterben. 

Die Liebe zu den Angehörigen habe sie am Leben gehalten, sagt Strauch. «Wir waren jung, konnten uns sofort an die Situation anpassen, und wir wollten unbedingt leben. Aber ohne die Gedanken an die geliebten Menschen, die auf uns warteten, hätten wir wohl aufgegeben. Diese geistige Haltung war klar der Hauptgrund, warum wir das überleben konnten.»

62 Tage nach dem Absturz machen sich Nando Parrado (68) und Roberto Canessa (65) ausgezehrt und mit der Kraft der Verzweiflung auf den Weg Richtung Westen nach Chile. Wie durch ein Wunder gelingt es ihnen, die Anden in zehn Tagen zu überqueren und Hilfe zu holen. Die Rettung wird zum medialen Weltereignis und geht als das Wunder der Anden in die Geschichte ein.

Der schwierige Weg zurück

Der Weg zurück ins normale Leben sei sehr schwierig gewesen, so Strauch. «In den Anden waren wir komplett losgelöst und bauten unsere eigenen gesellschaftlichen Strukturen und Normen auf, um zu überleben. Wir waren in kurzer Zeit geistig sehr gereift, hatten uns verändert, mussten uns aber wieder ans frühere Leben anpassen. Ich brauchte ein paar Jahre, um mich wieder verbunden zu fühlen. Aber danach begann ich positiv über alles zu denken und jetzt bin ich glücklich darüber, wie alles gekommen ist.»

Nach der Rückkehr in die Zivilisation arbeitete Strauch als Architekt. Heute malt und reist er viel, einmal jährlich besucht er die Unfallstelle, wo die Opfer begraben sind. Er hat fünf Kinder und zwei Enkelkinder. Strauch: «Ich will sie aufwachsen sehen und ihnen etwas von meinen Werten mitgeben. Das Leben kann wirklich sehr interessant sein.»

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