Ex-Botschafter Tim Guldimann zum NRW-Debakel der SPD
«Der Schulz-Effekt ist verblasst»

SP-Nationalrat Tim Guldimann (ZH, 66) sieht im Abschneiden der deutschen SPD eine «grosse Enttäuschung für die Sozialdemokratie». Der frühere Botschafter in Deutschland sähe die SPD lieber in der Opposition für den Fall, dass sie den Kanzler nicht stellen kann.
Publiziert: 15.05.2017 um 15:15 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 11:30 Uhr
Foto: EQ Images
Interview: Ruedi Studer

BLICK: Herr Guldimann, die SPD-Regierung in Nordrhein-Westfalen ist abgewählt. Damit ist die Schweiz auch den schlimmsten Steuersünder-Jäger Norbert Walter-Borjans los. Gut für uns?
Tim Guldimann:
Der Steuerstreit ist Schnee von gestern. Das Problem ist mit dem automatischen Informationsaustausch gelöst. Für die Schweiz ändert sich damit nichts.

Wird es nun mit Blick auf die aktuelle Spionageaffäre nicht einfacher?
Das Geplänkel zwischen der Schweiz und Deutschland um die Spionageaffäre wird sich bald legen und die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auch nicht beschädigen. Intern müssen wir aber klären, ob das Vorgehen des Nachrichtendienstes des Bundes legal war oder nicht. 

Wie blicken Sie als Sozialdemokrat auf die Performance der deutschen Genossen?
Es ist eine grosse Enttäuschung für die Sozialdemokratie, nicht nur in Deutschland, sogar in ganz Europa. Martin Schulz als Bundeskanzlerkandidat hat viel Begeisterung für einen neuen Aufbruch ausgelöst. Die SPD hat es aber versäumt, den Aufbruch mit Inhalt zu unterfüttern. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen hat der Bundespartei verboten, ihren vermeintlichen Sieg mit einer Inhaltsdiskussion zu gefährden – mit fatalen Folgen.

Ist der Schulz-Zug bereits entgleist?
Der Schulz-Effekt ist verblasst. Die SPD war in Umfragen ja kurzzeitig gleichauf mit Merkels CDU und ist zurückgefallen, wenn auch nicht so weit wie vor der Schulz-Euphorie. Das Politgefüge ist aber viel labiler als früher. Diese Labilität, die nun gegen die SPD geschlagen hat, könnte im Herbst auch wieder zu ihren Gunsten umschlagen. Dafür braucht es aber Inhalte.

Die Begeisterung für SPD-Kanzlerkandiat Martin Schulz ist abgeflaut.
Foto: imago/Pacific Press Agency

Könnte nicht auch eine Wechselstimmung in Deutschland Richtung Schwarz-Gelb entstehen? 
Für CDU/CSU und FDP beim Bund wird es nicht reichen. Dass sie noch die Grünen ins Boot holen – farbig wie die Jamaika-Fahne –, wird leider so schwierig wie die zwei andern Dreier-Kombinationen: Eine Ampel von SPD, FDP und Grünen oder Rot-Rot-Grün, das heisst mit den für viele nicht salonfähigen Linken.

Dann bleibt es im Herbst bei einer grossen Koalition?
Das ist im Moment die wahrscheinlichste Variante. Aus meiner Sicht aber die schlechteste. Die SPD konnte sich in der Koalition in sozialen Fragen zwar durchsetzen, aber profitiert nicht davon. Wenn die SPD nicht den Kanzler stellt, hätte ich sie lieber in der Opposition.

Die Opposition als Jungbrunnen?
Ja. Die Sozialdemokratie muss sich in Europa inhaltlich neu definieren, das sehen wir auch in ihrem Debakel in Frankreich, Holland und England. Wir haben fast euphorisch auf den Aufbruch in Deutschland gehofft – der ist jetzt sehr gefährdet. Das Abschneiden der SPD im Herbst bringt für alle Schwesterparteien Zuversicht oder Trübsal, auch für uns in der Schweiz.

Bleibt in Deutschland im Herbst alles beim Alten, ändert sich auch für die Schweiz nichts?
Egal, ob Angela Merkel oder Martin Schulz die Wahl gewinnt, das Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland ist seit Jahrzehnten konstant – ohne Böswilligkeit, aber auch ohne Nachbarliebe, die wir uns einbilden. Ob der Bundeskanzler die Schweiz gern hat, ist nicht von Belang.

Sondern?
Entscheidend für die Schweiz ist, ob es mit Europa vorwärtsgeht. Wir brauchen ein stabileres Europa, das schafft auch für die Schweiz stabilere Rahmenbedingungen. Ein Europa in der Krise wird sich nicht mit Nachsicht der Schweiz annehmen.

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