«Europapreis für politische Kultur» geht an slowakische Präsidentin
Kein Bückling vor der Macht

Das Leben von Zuzana Caputova ist ein ständiges Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit und die Arroganz der Mächtigen. Die frisch gewählte Präsidentin der Slowakei denkt gar nicht daran, dies als Staatsoberhaupt zu ändern. Jetzt ehrt sie die Hans Ringier Stiftung.
Publiziert: 11.08.2019 um 09:20 Uhr
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Die Bürgerrechtlerin und Umweltaktivistin Zuzana Caputova hat den «Europapreis für politische Kultur» der Hans Ringier Stiftung erhalten. Sie ist seit Juni dieses Jahres Präsidentin der Slowakei.
Foto: AFP
Vinzenz Greiner

Die slowakische Staatspräsidentin Zuzana Caputova erhält in diesem Jahr den «Europapreis für politische Kultur» der Hans Ringier Stiftung. Am Samstag nahm die 46-Jährige in Ascona TI den mit 50'000 Franken dotierten Preis entgegen – für ihren «Kampf für eine wahrhaft europäische Demokratie». Stiftungspräsident Frank A. Meyer würdigte Caputovas Engagement mit den Worten, vor der Entschlossenheit und dem Mut der Slowakin könne man sich als europäischer Demokrat «nur verneigen».

Welcher Kampf, welcher Mut ist es aber, der hier geehrt wird? Wer ist diese erste Frau, die es an die Spitze eines ostmitteleuropäischen Staats ausserhalb des Baltikums schaffte? Wie gelang der alleinerziehenden Rechtsanwältin mit zwei Töchtern dieser historische Wahlsieg? Wer ist Zuzana Caputova?

«Umweltfragen liegen nahe an den wichtigsten Werten»

Sie wächst in einer typischen Kleinfamilie nördlich von Bratislava in der Stadt Pezinok auf: Vater Direktor einer Versicherungsfiliale, Mutter Bürokauffrau, ein älterer Bruder. Sie habe schon als Kind Ungerechtigkeit nicht gemocht, habe deshalb Jus in der Hauptstadt studiert, erklärt Caputova. Während des Studiums arbeitet sie in ihrer Heimatgemeinde und engagiert sich in Projekten für misshandelte Kinder. Dann aber richtet Caputova ihr Augenmerk auf die Umwelt. In einem Interview sagte sie einmal: «Ich finde es sinnvoll, eine Arbeit zu verrichten, die etwas Wichtigem dient. Umweltfragen liegen nahe an den wichtigsten Werten, und das ist das Leben und die Gesundheit.»

Das, was Caputova am wichtigsten ist, wird Ende der 90er bedroht. Die slowakische Umweltinspektion entscheidet damals: In Pezinok darf eine grosse Mülldeponie 400 Meter vom Stadtzentrum entfernt errichtet werden. Proteste und Unterschriftensammlungen ignorieren die Behörden, Grundlagen für die Entscheidung werden geheim gehalten, die Bauarbeiten beginnen zwischenzeitlich ohne Erlaubnis. Vielleicht hatte hier Caputova diese «Gefühle der Ohnmacht» als Bürger gegenüber staatlichen und privatwirtschaftlichen Interessen, die in der Slowakei schnell einmal verschmelzen, von denen sie in einem Interview sprach.

Der Kampf gegen die Arroganz der Macht

Wer ohne Macht ist, kann verzweifeln. Oder sich selbst ermächtigen: Caputova organisiert mit der NGO Via Iuris den Widerstand. Rund 14 Jahre dauerte das Hin und Her, bis schliesslich der Europäische Gerichtshof Caputova und ihren Mitstreitern recht gibt. Caputovas Fazit aus diesem für ihr Leben so einschneidenden Erlebnis: «Gegen die Ungerechtigkeit und Arroganz der Macht zu kämpfen, zahlt sich immer aus.» 2016 bekam Caputova für diesen Kampf den Goldman-Umweltpreis.

Mit Via Iuris ging sie noch weiter, stellte Amnestien infrage, die der Regierungschef Vladimir Meciar einst erteilt hatte. Nach und nach baute sich öffentlicher Druck auf: Das Parlament nahm sie zurück. Den Bückling vor der Macht zu machen, ist keine Option für Caputova.

Hoffnung zwischen Orban und Konsorten

Caputovas Haltung ist eine, die Mittelosteuropa nicht fremd ist. Immer wieder stemmten sich Bürger- und Menschenrechtler gegen autoritäre Zeitgeister und Machthaber, die glaubten, sich nicht vor dem Bürger rechtfertigen zu müssen. Da ist Tomas Garrigue Masaryk, der erste Präsident der Tschechoslowakei, da ist Lech Walesa, Chef der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc und später Staatspräsident. Da ist Imre Nagy in Ungarn, Paul Goma in Rumänien, da sind Alexander Dubcek und Vaclav Havel.

Und heute?

Ungarns Regierungschef Viktor Orban schwört öffentlich der pluralistischen Demokratie ab. Polens Regierung kriegt es mit den EU-Vertragshütern zu tun, weil es die Unabhängigkeit der Gerichte und Medien im eigenen Land angreift. In Tschechien sitzt ein Populist auf dem Premier-Sessel und ein erratischer Präsident in der Hradschin-Burg. Die sozialdemokratische Smer-SD in der Slowakei ist längst zum etatistischen Rechtsaussen mit ausgeprägter Medienverachtung verkümmert und hat nachweislich mehrere Verbindungen zur Mafia. Kein Wunder, dass der tschechische Philosoph und Theologe Tomas Halik erklärte, Caputova könne Hoffnung nicht nur für die Slowakei, sondern für die ganze Region bringen.

Caputova mit dem Obama-Effekt?

Ein Obama-Effekt in Osteuropa? Vielleicht. Trifft Caputova einen Nerv? Mit Sicherheit. Das kann man auch an einem Wahlkampf-Video sehen, das im November 2018 online aufgeschaltet und in dem 5,4-Millionen-Land rund 3,7 Millionen Mal aufgerufen wurde.

Es zeigt einen Mann in einem slowakischen Café. Dunkelgrün schimmerndes Jackett, Gelfrisur, protzige Armbanduhr. Er prüft aus dem Augenwinkel, ob jemand mithören könnte. Beugt sich dann leicht über den Tisch und flüstert verschwörerisch: «Und, einigen wir uns?» Ihm gegenüber sitzt eine Frau in Weiss, blonde Haare umfliessen ihre versteinerte Miene: Caputova. Ihre knappe Antwort: «Nein.»

Ein schummriger Deal zwischen Geschäftswelt und Politik? Ein alltägliches und allgegenwärtiges Übel in der Slowakei, die als eines der korruptesten EU-Länder gilt. Der Mann im Jackett hat Ähnlichkeiten mit dem umtriebigen Geschäftsmann Marian Kocner (56), der nicht nur in der Affäre um die Mülldeponie in Caputovas Heimatstadt auftaucht und enge Verbindungen ins politische Bratislava hat. Er ist angeklagt, den Mord am jungen Topjournalisten Jan Kuciak (†27) in Auftrag gegeben zu haben.

Caputova und «Für eine anständige Slowakei»

Kuciak hatte viel zu Kocners Geschäften recherchiert und aufgedeckt, dass die Mafia Verbindungen ins sozialdemokratische Regierungsbüro unterhielt. Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova (†27) wurden im Februar letzten Jahres in ihrem Häuschen erschossen.

Zehntausende gingen danach unter dem Motto «Für eine anständige Slowakei» auf die Strasse. Der Regierungschef, Minister und Polizeibeamte legten ihre Ämter nieder. Vieles, was «Für eine anständige Slowakei» fordert, deckt sich mit dem, wofür die Partei steht, der Caputova als Vize-Chefin bis zu ihrer Wahl als Präsidentin vorsass. Die proeuropäische Progressive Slowakei will unter anderem die Polizei vom Einfluss der Politik entheddern, Angehörige der Roma-Minderheit fördern und Gesetzeslücken schliessen, die Korruption ermöglichen. Die Partei will transparent und ehrlich sein, listet zuoberst auf ihrer Homepage auf, wie sie sich finanziert.

Auch Caputova fordert Ehrlichkeit und lebt sie vor. Wenn sie etwas rührt, sieht man sie mit wässrigen Augen. Überdreht erklärt sie am Tag des Wahlsiegs, dass sie vom Wahlkampf noch total müde sei. Kein Verstellen. Auch nicht bei Drohung.

Kritik an Ungarn und China

Im Wahlkampf-Video zischt ihr das Gegenüber vielsagend zu, ob sie denn keine Angst habe. «Habe ich nicht, denn ich bin nicht allein», entgegnet Caputova, als andere Gäste im Café nach und nach aufstehen und sich hinter sie stellen. Am 30. März stellten sich 1'056'582 Slowaken hinter sie: Caputova gewann in der Stichwahl gegen den von den Sozialdemokraten unterstützten EU-Kommissar Maros Sefcovic zwar bei niedriger Wahlbeteiligung, aber deutlich. Noch in der Nacht des Wahlsiegs zündete Caputova eine Kerze am Gedenkort für Jan Kuciak und seine Verlobte an.

Auch nach ihrer offiziellen Amtsübernahme setzt Caputova Zeichen. Ihre erste Auslandsreise ging nach Tschechien, wo sie einen Blumenkranz am Grab von Vaclav Havel niederlegte. Im Juli besuchte sie Ungarn. Recht unverblümt kritisierte sie dort den Kurs der Orban-Regierung gegen die EU und liberale Demokratie. Als Chinas Aussenminister die Slowakei besuchte, machte die Rechtsanwältin klar, dass sie wenig von Chinas Menschenrechts-Politik halte. Ein Bückling ist für Caputova nach wie vor keine Option.

Zuzana Caputova wird für ihre Zivilcourage ausgezeichnet

In Anerkennung ihres Kampfs für eine wahrhaft europäische Demokratie geht der «Europa­preis für politische Kultur» der Hans Ringier Stiftung 2019 an Zuzana Caputova (46), Präsidentin der Slowakei.

Die bis vor kurzem ausserhalb ihres Landes kaum bekannte Umweltaktivistin und Bürgeranwältin ist das neue Gesicht der Hoffnung für die osteuropäischen EU-Nationen – wie einst Vaclav Havel, Freiheitskämpfer gegen den Kommunismus und erster Staatspräsident  der Tschechischen Republik.

Mit Caputovas Wahlsieg im März gelangte die Leitfigur einer Politik gegen die Macht von Korruption und Oligarchie an die Spitze des jungen Staats.

Frank A. Meyer, Präsident der Hans Ringier Stiftung: «Vor der Entschlossenheit und dem Mut von Zuzana Caputova kann man sich als europäischer Demokrat nur verneigen; ebenso vor der Entschlossenheit und Klugheit der slowakischen Bürger, sie zu wählen.»

Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, hielt die Laudatio auf die Preisträgerin: «Zuzana Caputova verkörpert zentrale Themen, die derzeit in Europa im Brennpunkt stehen: Sie setzt sich ein für Rechtsstaatlichkeit, Bürgerrechte und Minderheitenschutz sowie eine solidarische Migrationspolitik. Sie engagiert sich für eine nachhaltige Umweltpolitik. Sie kämpft gegen Korruption und für Transparenz in der Gesellschaft. Es ist ein ermutigendes Signal für ein wertebasiertes Europa, dass sie zur Präsidentin gewählt wurde.»

Die Preisverleihung fand im Rahmen des «Dîner républicain» im Hotel Castello del Sole in Ascona TI statt. Bei dem von Frank A. Meyer ausgerichteten Anlass begegneten sich seit 46 Jahren Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur zu Gespräch und Debatte.

Träger des mit 50'000 Euro dotierten «Europa­preises» waren bisher Jean-Claude Juncker, Boris Tadic, Jürgen Habermas, Pascal Lamy, Jean-Claude Trichet, Hans-Dietrich Genscher, Donald Tusk, Wolfgang Schäuble, Heinrich August Winkler, Mario Draghi, Frank-Walter Steinmeier, Margrethe Vestager und Sir Christopher Munro Clark.

In Anerkennung ihres Kampfs für eine wahrhaft europäische Demokratie geht der «Europa­preis für politische Kultur» der Hans Ringier Stiftung 2019 an Zuzana Caputova (46), Präsidentin der Slowakei.

Die bis vor kurzem ausserhalb ihres Landes kaum bekannte Umweltaktivistin und Bürgeranwältin ist das neue Gesicht der Hoffnung für die osteuropäischen EU-Nationen – wie einst Vaclav Havel, Freiheitskämpfer gegen den Kommunismus und erster Staatspräsident  der Tschechischen Republik.

Mit Caputovas Wahlsieg im März gelangte die Leitfigur einer Politik gegen die Macht von Korruption und Oligarchie an die Spitze des jungen Staats.

Frank A. Meyer, Präsident der Hans Ringier Stiftung: «Vor der Entschlossenheit und dem Mut von Zuzana Caputova kann man sich als europäischer Demokrat nur verneigen; ebenso vor der Entschlossenheit und Klugheit der slowakischen Bürger, sie zu wählen.»

Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, hielt die Laudatio auf die Preisträgerin: «Zuzana Caputova verkörpert zentrale Themen, die derzeit in Europa im Brennpunkt stehen: Sie setzt sich ein für Rechtsstaatlichkeit, Bürgerrechte und Minderheitenschutz sowie eine solidarische Migrationspolitik. Sie engagiert sich für eine nachhaltige Umweltpolitik. Sie kämpft gegen Korruption und für Transparenz in der Gesellschaft. Es ist ein ermutigendes Signal für ein wertebasiertes Europa, dass sie zur Präsidentin gewählt wurde.»

Die Preisverleihung fand im Rahmen des «Dîner républicain» im Hotel Castello del Sole in Ascona TI statt. Bei dem von Frank A. Meyer ausgerichteten Anlass begegneten sich seit 46 Jahren Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur zu Gespräch und Debatte.

Träger des mit 50'000 Euro dotierten «Europa­preises» waren bisher Jean-Claude Juncker, Boris Tadic, Jürgen Habermas, Pascal Lamy, Jean-Claude Trichet, Hans-Dietrich Genscher, Donald Tusk, Wolfgang Schäuble, Heinrich August Winkler, Mario Draghi, Frank-Walter Steinmeier, Margrethe Vestager und Sir Christopher Munro Clark.

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