2014 wollte Martin A.* (57) aus Rommelshausen im Remstal (D) auf die Schweizer Bobbahn im Europa-Park Rust. A. ist ein Contergan-Geschädigter. Die Fahrt wurde ihm deshalb verweigert. Er könne sich nicht stabilisieren, lautete die Begründung des Personals, berichteten die «Stuttgarter Nachrichten». Daraufhin nahm sich A. einen Anwalt und verklagte den Vergnügungspark. Er wollte durchsetzen, dass der Park verpflichtet werde, ihm durch entsprechende Handreichungen oder technische Hilfsmittel wie etwa ein spezielles Gurtsystem die Fahrt auf den Achterbahnen im Europa-Park zu ermöglichen.
Mehr als 4 Jahre dauerte das Verfahren. Dieser Tage kam es zu einem Vergleich, berichtet die «Badische Zeitung»: Der Europa-Park muss nachrüsten, um Martin A. die Fahrten auf den Bahnen zu ermöglichen. Bis Pfingsten 2021 müssen die Arbeiten abgeschlossen sein. Der Vergleich gelte nur zwischen Kläger und Freizeitpark und sei nicht automatisch eine Regelung für andere Menschen mit Behinderung.
Alle Bahnen bis auf zwei werden nachgerüstet
Der Park sagte auf Nachfrage der Zeitung, dass bis auf das Fjordrafting und die Wildwasserbahn alle Bahnen entsprechend angepasst werden würden. Man sehe die juristische Auseinandersetzung als Impuls, um die Nutzungsmöglichkeiten aller Achterbahnen für Besucher mit Handicap zu verbessern.
Gleichzeitig will der Europapark das Thema Inklusion auch auf anderen Ebenen thematisieren. «Uns beschäftigt auch die Fragestellung, wie gehen wir mit Fahrgästen um, die erst auf der Bahn bemerken, dass sie nicht schwindelfrei sind oder Höhenangst haben. Oder die körperlich und gesundheitlich der Belastung einer Achterbahnfahrt nicht gewachsen sind», wird Volker Klaiber, im Europa-Park Chef für die Bereiche Operation und Service, in der «Badischen Zeitung» zitiert. Es solle nun noch mehr Aufklärung über körperliche Belastungen betrieben werden. Zudem soll das Betriebspersonal bei Fahrgästen mit erkennbarer Behinderung einen Fragebogen mit diesen abarbeiten, bevor diese im Sitz über spezielle Gurtsysteme fixiert werden.
Eine der grössten Arnzei-Katastrophen
Martin A., der Mann, der diesen Fortschritt möglich macht, ist ein Contergan-Geschädigter. In den 50er Jahren wurde eine Arznei namens «Contergan» als Beruhigungsmittel und gegen Schwangerschaftsübelkeit verkauft. Doch das Mittel führte zu Schädigungen in der Wachsumtsentwicklung der Föten. Es kam zu Fehlbildungen oder sogar dem Fehlen von Gliedmassen und Organen bei den Neugebornen. Weltweit dürften mehr als 10'000 Babys mit Contergan-Schäden geboren worden sein.
In der Schweiz war der in Contergan enthaltene Wirkstoff Thalidomid unter dem Namen Softenon verkauft worden. Dieses Mittel war aber im Gegensatz zu Contergan rezeptpflichtig. Neun «Contergan-Kinder» kamen laut «SRF» in der Schweiz zur Welt, darunter der heutige Thurgauer CVP-Nationalrat Christian Lohr. (vof)
* Name geändert