Brexit-Handelspakt
Inszeniertes Drama oder schwere Fehlkalkulation?

Weniger als 48 Stunden vor Ablauf der selbstgesetzten Frist für einen Durchbruch bei den Gesprächen über einen Brexit-Handelspakt wachsen die Zweifel an einem Übereinkommen. Spätestens am Sonntag, so entschieden es beide Seiten, soll eine Entscheidung her.
Publiziert: 12.12.2020 um 10:02 Uhr
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Aktualisiert: 12.12.2020 um 20:11 Uhr
ARCHIV - Britische Flaggen wehen in der Nähe des berühmten Uhrturms Big Ben. Vor Ablauf der letzten Frist für eine Entscheidung am Sonntag beraten die Unterhändler weiter über Brexit-Handelspakt. Foto: Matt Dunham/AP/dpa
Foto: Matt Dunham

Bundesaussenminister Heiko Maas zufolge wird eine Einigung «mit jedem Tag schwieriger, aber sie ist immer noch möglich», wie der SPD-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagte. Er fügte hinzu: «Deshalb verhandeln wir als EU weiter, solange das Fenster auch nur einen Spalt offen ist. Wir werden sehen, was bis Sonntag gelingt, und dann die Lage wieder bewerten.»

Theoretisch wäre Zeit bis kurz vor dem Jahreswechsel. Erst dann läuft die Übergangsphase aus, in der trotz des EU-Austritts der Briten noch alles beim Alten bleibt. Britische Medien spekulieren daher, ob selbst bei einem Eingeständnis des Scheiterns am Sonntag nicht doch noch eine Rückkehr an den Verhandlungstisch möglich wäre.

Der britische Premierminister Boris Johnson schwor seine Landsleute schon mal auf einen No Deal ein. Es sei «sehr, sehr wahrscheinlich», dass die Verhandlungen scheiterten, sagte er. Doch auch das sei eine Lösung, die «wunderbar für Grossbritannien» sei. Man könne schliesslich genau das tun, was man wolle vom 1. Januar an, sagte der Premier am Freitag.

Bedeutendster Streitpunkt neben der Fischerei ist das Thema Wettbewerbsbedingungen. Brüssel stellt sich auf den Standpunkt, dass die Konkurrenz aus Grossbritannien nur dann auf zollfreien Handel hoffen kann, wenn auf beiden Seiten des Ärmelkanals gleiche Arbeitnehmer-, Sozial- und Umweltstandards gelten.

Doch das ist für London eine Frage des Prinzips. Wieder und wieder betonen britische Regierungsvertreter, es gehe um die Souveränität ihres Landes. Durch den Brexit wolle man die Kontrolle über die eigenen Gesetze, Grenzen, Gewässer und das eigene Geld wiedererlangen - und nicht die EU-Standards übernehmen, auf die man auch überhaupt keinen Einfluss mehr habe. Ein Unding ist für Johnson, dass die EU seiner Darstellung nach verlangt, Grossbritannien solle künftig Regeländerungen der EU auf Schritt und Tritt folgen.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen konterte am Freitag in Brüssel: Die Briten seien frei, von europäischen Regeln abzuweichen in der Zukunft, beispielsweise bei Umweltstandards. Doch die Bedingungen zum europäischen Binnenmarkt müssten dann eben auch angepasst werden, sprich: Zölle eingeführt werden.

Bei der Fischerei geht es darum, dass die Briten künftig selbst bestimmen wollen, wer wie viel in ihren Gewässern fangen darf. Doch die ausschliessliche Wirtschaftszone, die das Land inzwischen beansprucht, steht nicht im Einklang mit der historisch gewachsenen Aufteilung der Fischgründe, wie sie im Rahmen der Europäischen Fischereipolitik festgelegt wurde. Wirtschaftlich spielt das Thema kaum eine Rolle, doch symbolisch ist es für die ehemalige Seemacht Grossbritannien kaum zu unterschätzen. Auch hier will keine der beiden Seiten nachgeben.

Kommentatoren in Grossbritannien sind sich uneins, was hinter der Patt-Situation steckt. Beide Seiten könnten auf ein Einlenken des anderen setzen - und dabei eine schwere Fehlkalkulation riskieren. Oder lenkt Johnson möglicherweise im letzten Moment im Tausch gegen symbolische Zugeständnisse ein und alles ist nur eine sorgfältig geplante Choreographie, die ihn in den Augen der Brexit-Hardliner als Kämpfer darstellen soll? Es wäre nicht das erste Mal. Doch sicher sein kann niemand.

Für den Fall, dass es schiefgeht, würden mehr als ein Drittel der Briten (35 Prozent) das Scheitern der Verhandlungen ihrer eigenen Regierung anlasten, wie eine Blitzumfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov am Freitag ergab. Etwas mehr als ein Viertel (27 Prozent) sähen die Verantwortung hingegen bei der Europäischen Union. Ein weiteres Viertel würde beide Seiten zu gleichen Teilen die Schuld geben.

(SDA)

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