Kern sagte dem österreichischen Sender ORF am Mittwochabend, ein Beitritt der Türkei zur EU sei «nur noch diplomatische Fiktion». Österreichs sozialdemokratischer Regierungschef will daher die Möglichkeit eines Abbruchs der Gespräche beim kommenden EU-Gipfel am 16. September auf die Tagesordnung setzen. «Wir wissen, dass die demokratischen Standards der Türkei bei Weitem nicht ausreichen, um einen Beitritt zu rechtfertigen.»
Auch die Wirtschaft der Türkei sei weit entfernt vom europäischen Durchschnitt, führte Kern in der Zeitung «Die Presse» aus. Die EU müsse ihre künftige Zusammenarbeit mit der Türkei anders regeln als durch einen Beitritt. Ankara bleibe dabei «in sicherheitspolitischen und integrationspolitischen Fragen ein wichtiger Partner» - etwa beim Kampf gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat.
Den Ärger der türkischen Regierung bei einem Abbruch der Verhandlungen müsse die EU nicht fürchten, sagte Kern. «Wir sind gegenüber der Türkei kein Bittsteller.» Wirtschaftlich habe die EU die Oberhand, die Türkei sei auf die EU angewiesen.
Der österreichische Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil verglich die Türkei mit einer «Diktatur». Solch ein Land habe «in der EU nichts verloren», sagte er am Donnerstag der österreichischen Nachrichtenagentur APA.
Der türkische Europaminister Ömer Celik bezeichnete Kerns Äusserungen als «extrem beunruhigend». «Kritik ist ein demokratisches Recht, aber es muss einen Abstand zwischen Kritik an der Türkei und einer Anti-Türkei-Haltung geben», erklärte er.
Die Sprecherin der EU-Kommission, Mina Andreeva, sagte zu Kerns Äusserungen lediglich, für Beitrittsgespräche gebe es bestimmte Voraussetzungen wie den «Respekt des Rechtsstaats, der Menschen- und Grundrechte». Die Eröffnung weiterer Beitrittskapitel mit der Türkei stehe derzeit nicht zur Debatte.
Die EU und die Türkei verhandeln seit 2005 über einen Beitritt. Wegen der repressiven Reaktion der türkischen Regierung auf den Putschversuch hatten in den vergangenen Wochen viele europäische Politiker diese Verhandlungen in Frage gestellt. Allerdings gibt es auch die Befürchtung, dass Ankara das Flüchtlingsabkommen mit der EU platzen lassen könnte.