In der Schweiz sind «Blaue Briefe» Kündigungsschreiben, in Deutschland bekommen sie Eltern als Warnung nach Hause geschickt, wenn sich das Kind wiederholt nicht an die Regeln gehalten hat, die in einer Schule eben nun mal gelten. Auch die italienische Regierung hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht – erst reichte sie ihren Haushaltsplan in der Nacht auf Dienstag in letzter Minute ein, dann verstösst dieser auch noch gegen die EU-Regeln. Dafür gab es nun einen Blauen Brief von der EU-Kommission.
Der Lette Valdis Dombrovskis (47), Vizepräsident der Kommission, und der Franzose Pierre Moscovici (61), Wirtschafts- und Währungskommissar, warnten den italienischen Finanzminister Giovanni Tria (70) am Donnerstag, dass der italienische Haushaltsplan den Vereinbarungen des Euro-Stabilitätspakts massiv widerspreche. Es handle sich um «ernsthafte Verstösse gegen die Budget-Richtlinien».
Denn:
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Italien will die Staatsausgaben um 2,7 Prozent erhöhen – das 27-fache des von der EU empfohlenen Maximums von 0,1 Prozent.
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Das Staatsdefizit stiege im kommenden Jahr auf 2,4 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung – dreimal mehr als die 0,8 Prozent, welche noch vor ein paar Monaten versprochen waren.
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Italien hat bereits eine Staatsverschuldung von 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – höher verschuldet ist innerhalb der EU nur Griechenland. Nach den EU-Regeln müssten die Italiener versuchen, die Staatsverschuldung nach und nach auf 60 Prozent zu reduzieren. Bemühungen darum lasse der Haushaltsplan aber nicht erkennen, schreiben die Verfasser.
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Die Wirtschaftsprognose der Italiener, auf welcher der Haushaltsplan aufbaut, durchlief nicht das übliche Verfahren. Die Prognose müsste von einer unabhängigen Finanzkontrolle abgesegnet werden.
Die Koalition aus rechtsnationaler Lega und linkspopulistischer Fünf-Sterne-Bewegung fordert mit ihrem Haushaltsplan die Geduld der EU heraus, um ihre teuren Wahlkampfversprechen zu finanzieren: Etwa eine Steuerreform, die vor allem die Reichen belohnt, die Einführung eines Grundeinkommens und die Senkung des Renteneintrittsalters.
Conte findet den Haushaltsplan «schön»
Giuseppe Conte (54) zeigt sich über den Brandbrief nicht sonderlich besorgt. Bis Montag muss sein Finanzminister der Kommission antworten. Abweichen will Italiens Ministerpräsident von seinem Haushaltsplan jedoch offenbar nicht. «Ich bin sogar noch mehr davon überzeugt, dass unser Haushaltsentwurf schön ist.»
Und Matteo Salvini (45)? Der hat offensichtlich eine grössere Vision, wie er den Konflikt mit der EU aus der Welt schaffen kann. Italiens Innenminister denkt darüber nach, sich als EU-Kommissar zu bewerben – als Spitzenkandidat einer rechtspopulistischen Parteienallianz. «Freunde aus verschiedenen europäischen Ländern haben mich darum gebeten», sagte der Lega-Chef in der Donnerstagsausgabe der Zeitung «La Repubblica». «Die Bürokraten in Brüssel wissen, dass sie in sechs Monaten nach Hause gehen müssen. Nach den EU-Wahlen wird auch in Europa der Wind des Wandels wehen.»
Wenn ihm das Kunststück gelingt, wohl zumindest ein Wind, der die Haushaltspläne im mediterranen Sorgenstaat nicht rechtzeitig durchfegt.