EU macht Flüchtlingspolitik zur Chefsache
«Das kann so nicht weitergehen»

Nach den jüngsten Unglücken im Mittelmeer mit wahrscheinlich Hunderten Toten macht die EU ihre Flüchtlingspolitik zur Chefsache. «Das kann so nicht weitergehen», sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk.
Publiziert: 20.04.2015 um 20:26 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 08:12 Uhr
Schon wieder! Hunderte Flüchtlinge in Seenot
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:Schon wieder! Hunderte Flüchtlinge in Seenot

Bei einem Sondergipfel am Donnerstag in Brüssel könnten die Staats- und Regierungschefs als Teil eines Zehnpunkte-Plans eine Aufstockung der Seenothilfe beschliessen. Diesen Plan präsentierte EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini erstmals bei einem Dringlichkeitstreffens der EU-Aussen- und Innenminister am Montag in Luxemburg.

Gerade in Bezug auf die verstärkte Seenothilfe gab es jedoch auch warnende Stimmen: «Wenn wir den Schleppern ihre Arbeit erleichtern und von Bord gegangene Flüchtlinge entgegennehmen, wird daraus für sie ein noch besseres Geschäft», warnte der tschechische Aussenminister Lubomir Zaoralek.

Der britische Ressortchef Philip Hammond stiess ins gleiche Horn und forderte, vor allem den Kampf gegen Menschenhändler zu intensivieren. Mehrere Minister von EU-Staaten kündigten ausserdem ein härteres Vorgehen gegen Schlepper an.

Steinmeier warnt

Der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier warnte jedoch vor zu grossen Erwartungen bei der Bewältigung des Flüchtlingsproblems. Es brauche «gemeinsame Anstrengungen zur Verbesserung der Seenotrettung», aber eine Lösung der Probleme sei nur möglich, wenn die Fluchtgründe an der Wurzel bekämpft würden, sagte er.

In diese Kerbe schlug auch Peter Maurer, Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz: «Der Tod dieser Männer, Frauen und Kinder erinnert in schrecklicher Weise an die Auswirkungen der sich verschärfenden Konflikte in Libyen, Syrien, im Mittleren Osten sowie in anderen afrikanischen Staaten», heisst es in einem Communiqué.

Unter Deck eingesperrt

In der Nacht zum Sonntag war ein Fischerboot mit Hunderten Flüchtlingen an Bord etwa 70 Seemeilen - das entspricht rund 130 Kilometern - vor der libyschen Küste gekentert. 24 Leichen wurden seither geborgen, 28 Menschen gerettet.

Der zuständige italienische Staatsanwalt Giovanni Salvi erklärte, die meisten Flüchtlinge seien in den unteren Decks des Schiffs eingesperrt gewesen, als das Unglück geschah. Warum die Menschen eingesperrt waren, blieb unklar.

Die von einem Überlebenden angegebene Zahl von 950 Menschen an Bord ist laut Salvi eine Schätzung. Die Küstenwache geht von einigen Hundert Menschen aus.

Hoffnung schwindet

Die Hoffnung, noch weitere Überlebende zu finden, schwindet jedoch zusehends. Ob das Schiff und die Leichen je geborgen werden können, ist ausserdem unklar, denn das Mittelmeer ist an der Unglücksstelle sehr tief. Die wenigen Überlebenden sollten am Montagabend mit einem Schiff Sizilien erreichen.

Am Montag gerieten ausserdem drei weitere Schiffe mit mindestens 400 Menschen an Bord im Mittelmeer in Seenot.

In Italien kommen derzeit Tausende Menschen vor allem aus Ländern Afrikas südlich der Sahara und aus dem Bürgerkriegsland Syrien an. Viele Boote starten in Libyen, das ebenfalls von einem Bürgerkrieg zerrissen ist.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft im italienischen Palermo warten in dem Land bis zu eine Million Flüchtlinge auf die Überfahrt nach Europa.

Schiff zerschellt

Auch in Malta und Griechenland stranden zahlreiche Flüchtlinge. Am Montag zerschellte vor der griechischen Touristeninsel Rhodos ein Schiff mit Dutzenden Flüchtlingen an Felsen. Mindestens drei Menschen starben, darunter ein vierjähriges Kind, wie die Küstenwache mitteilte. Weitere 93 wurden demnach aus dem Wasser gerettet.

Menschenrechts- und Hilfsorganisationen fordern schon länger von der EU, die 2014 von Italien eingestellte Rettungsoperation «Mare Nostrum» gemeinsam zu erneuern. Denn die Frontex-Mission Triton, mit der «Mare Nostrum» abgelöst wurde, hat laut Human Rights Watch viel weniger Schiffe, nur ein Drittel des Budgets und ein kleineres geografisches Ausmass.

Legale Fluchtwege

UNO-Flüchtlingskommissar António Guterres forderte seinerseits legale Fluchtwege und «humanitäre Visa». Und UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon plädierte für eine allgemeine Anerkennung des Rechts auf Asyl für die Kriegsflüchtlinge.

Auch UNO-Hochkommissar für Menschenrechte Said Raad al-Hussein meldete sich zu Wort. Europa riskiere, den Mittelmeerraum in einen grossen Friedhof zu verwandeln, sagte er und forderte die Staaten Europas dazu auf, eine «mutigere und barmherzigere» Politik zu machen.

Malta forderte derweil ein UNO-Mandat für ein gezieltes Vorgehen gegen Schlepperbanden. (bau/SDA)

Das steht im Zehn-Punkte-Plan

1. MEHR SEENOTHILFE: Die Grenzüberwachungsprojekte «Triton» und «Poseidon» sollen mehr Geld bekommen. Zudem könnte das Gebiet, auf dem die Schiffe unterwegs sind, vergrössert werden.

2. VERNICHTUNG VON BOOTEN: Die Boote von Schleusern sollen beschlagnahmt und zerstört werden. Die EU-Kommission erhofft sich dabei ähnliche Erfolge wie im Kampf gegen Piraten in Somalia.

3. ZUSAMMENARBEIT VON EU-ERMITTLERN: Die Polizeibehörde Europol, die Grenzschutzagentur Frontex und die Justizbehörde Eurojust sollen stärker bei ihren Ermittlungen gegen Schleuser zusammenarbeiten.

4. BEARBEITUNG VON ASYLANTRÄGEN: Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) soll nach dem Willen der Kommission Teams in Italien und Griechenland aufstellen, um Asylanträge schnell zu bearbeiten.

5. FINGERABDRÜCKE: Die EU-Staaten sollen sicherstellen, dass alle Flüchtlinge mit Fingerabdrücken erfasst werden.

6. NOTFALLSITUATIONEN: Es sollen Möglichkeiten ausgelotet werden, ob Flüchtlinge im Notfall über einen Sondermechanismus verteilt werden können.

7. PILOTPROJEKT: Angedacht ist ein EU-weites, freiwilliges Pilotprojekt zur Verteilung von Flüchtlingen. In einem ersten Schritt könnte es 5000 Plätze für schutzbedürftige Personen geben.

8. SCHNELLE ABSCHIEBUNG: Ein neues Programm unter der Koordination von Frontex soll dafür sorgen, dass illegale Einwanderer zügig wieder in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden.

9. LIBYEN UND NORDAFRIKANISCHE NACHBARN: Die Kommission schlägt eine Zusammenarbeit mit Ländern rund um Libyen vor - der Staat gilt nämlich als wichtigstes Transitland für Bootsflüchtlinge.

10. VERBINDUNGSBEAMTE: In wichtigen Drittstaaten könnten sogenannte Verbindungsbeamte für Immigrationsfragen eingesetzt werden, die zum Beispiel Informationen zu Flüchtlingsbewegungen sammeln.

1. MEHR SEENOTHILFE: Die Grenzüberwachungsprojekte «Triton» und «Poseidon» sollen mehr Geld bekommen. Zudem könnte das Gebiet, auf dem die Schiffe unterwegs sind, vergrössert werden.

2. VERNICHTUNG VON BOOTEN: Die Boote von Schleusern sollen beschlagnahmt und zerstört werden. Die EU-Kommission erhofft sich dabei ähnliche Erfolge wie im Kampf gegen Piraten in Somalia.

3. ZUSAMMENARBEIT VON EU-ERMITTLERN: Die Polizeibehörde Europol, die Grenzschutzagentur Frontex und die Justizbehörde Eurojust sollen stärker bei ihren Ermittlungen gegen Schleuser zusammenarbeiten.

4. BEARBEITUNG VON ASYLANTRÄGEN: Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) soll nach dem Willen der Kommission Teams in Italien und Griechenland aufstellen, um Asylanträge schnell zu bearbeiten.

5. FINGERABDRÜCKE: Die EU-Staaten sollen sicherstellen, dass alle Flüchtlinge mit Fingerabdrücken erfasst werden.

6. NOTFALLSITUATIONEN: Es sollen Möglichkeiten ausgelotet werden, ob Flüchtlinge im Notfall über einen Sondermechanismus verteilt werden können.

7. PILOTPROJEKT: Angedacht ist ein EU-weites, freiwilliges Pilotprojekt zur Verteilung von Flüchtlingen. In einem ersten Schritt könnte es 5000 Plätze für schutzbedürftige Personen geben.

8. SCHNELLE ABSCHIEBUNG: Ein neues Programm unter der Koordination von Frontex soll dafür sorgen, dass illegale Einwanderer zügig wieder in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden.

9. LIBYEN UND NORDAFRIKANISCHE NACHBARN: Die Kommission schlägt eine Zusammenarbeit mit Ländern rund um Libyen vor - der Staat gilt nämlich als wichtigstes Transitland für Bootsflüchtlinge.

10. VERBINDUNGSBEAMTE: In wichtigen Drittstaaten könnten sogenannte Verbindungsbeamte für Immigrationsfragen eingesetzt werden, die zum Beispiel Informationen zu Flüchtlingsbewegungen sammeln.

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