Nord-Stream-2 «würde die Abhängigkeit von Russland erhöhen und 80 Prozent der Lieferungen auf einer Route versammeln», erklärte EU-Gipfelchef Donald Tusk nach Abschluss der Beratungen am Freitag. Das laufe den festgeschriebenen Zielen der EU-Energiepolitik zuwider. «Aus meiner Sicht trägt das nicht zur Diversifizierung bei», sagte der Pole weiter. Tusk beschrieb die Diskussionen beim Gipfel als «intensiv und emotional».
Bereits am Donnerstag, am ersten Gipfeltag, hatte Litauens Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite in Brüssel gesagt: «Ich denke, es gibt da eine Reihe offener Fragen und solange wir diese nicht beantwortet haben, sollte dieses Projekt nicht vorangetrieben werden.»
Neben Litauen kritisieren auch zahlreiche andere mittel- und osteuropäische Staaten wie Ungarn und Polen die Pläne. Ihr Hauptargument ist, dass die Gaspipeline die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen nicht verringere, sondern verstärke.
Zudem muss zum Beispiel die Slowakei mit dem Verlust von Transitgebühren rechnen, weil russisches Gas künftig nicht mehr durch ihr Gebiet sondern über die Ostsee nach Westeuropa gepumpt würde. Auch Italien äusserte nach Angaben von Diplomaten Kritik. Nach Darstellung von Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi sehen nur Deutschland und die Niederlande kein Problem in dem Projekt.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sagte, mehrere Länder hätten zudem darauf hingewiesen, dass die Interessen der Ukraine nicht ignoriert werden könnten.
Denn diese sieht das Projekt als unvereinbar mit den von der EU verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Die Regierung in Kiew fürchtet, dass ihre Stellung gegenüber Moskau deutlich geschwächt würde, wenn der russische Gazprom-Konzern noch mehr Energie an der Ukraine vorbei nach Europa leiten könnte.
Bislang ist sie eines der wichtigsten Transitländer. So sagte denn auch Grybauskaite, aus ihrer Sicht gehe es bei dem Nord-Stream-2-Projekt unter anderem auch darum, die Ukraine als wichtiges Transitland für Gas zu umgehen.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel verteidigte den umstrittenen Pipeline-Ausbau und bezeichnete diesen weitgehend als privates Projekt. «Ich habe deutlich gemacht, dass es erst einmal ein wirtschaftliches Projekt ist, es gibt private Investoren für dieses Projekt», sagte sie nach dem Ende des EU-Gipfels.
Es gehe jetzt darum, wie die notwendige rechtliche Grundlage hergestellt werde. Auch müssten Wege gefunden werden, «bei denen die Ukraine als Transitland nicht völlig unbedeutend wird», sagte Merkel weiter.
Tusk sagte seinerseits, dass es bisher keine abschliessende rechtliche Bewertung des Falles gebe. Er verwies aber auch darauf, dass nach Einschätzung der EU-Kommission der russische Gazprom-Konzern mit Nord-Stream-2 eine dominierende Position im deutschen Markt bekäme. Der Gipfel-Chef machte jedenfalls deutlich, dass europäisches Recht verteidigt werden müsse.
Das Nord-Stream-2-Projekt war Teil einer Diskussion über die Energiepolitik der EU. Eigentlich hätten dazu einige Sätze in der Abschlusserklärung des Gipfel-Treffens stehen sollen.
Auf dem Tisch lag ein Text-Vorschlag, der deutlich machen sollte, dass der Pipeline-Ausbau unvereinbar mit den Zielen der Energiepolitik der EU ist. Dazu wurden als Ziele lediglich die Verringerung der Energieabhängigkeit und die Diversifizierung der Lieferanten aufgeführt.
Im endgültigen Abschlussdokument werden nun aber gar keine konkreten Ziele mehr erwähnt. Kanzlerin Merkel soll eine klare Positionierung der EU gegen Nord-Stream-2 verhindert haben.
Beteiligt an den Nord-Stream-2-Plänen sind neben Russland auch die deutschen Konzerne Eon und BASF sowie das britisch-niederländische Unternehmen Shell, die österreichische OMV und die französische Engie-Gruppe. Die Unternehmen wollen die Kapazität der bereits bestehenden Nord-Stream-Leitung durch die Ostsee durch den Ausbau verdoppeln. Sie ist rund 1200 Kilometer lang.