Die Türkei hingegen, ein wichtiger Partner bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise, ergriff die Initiative: Ab dem 8. Januar soll die Visumspflicht für syrische Bürger gelten, die aus einem Drittstaat in die Türkei einreisen. Das kündigte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am Donnerstag in Brüssel an.
Zugleich werde jedoch die Tür für Menschen offenbleiben, die klar als Flüchtlinge erkennbar seien, sagte ein ranghoher türkischer Regierungsvertreter der Nachrichtenagentur dpa in Istanbul. Mit dem Vorstoss reagiere die Türkei darauf, dass über Ägypten und den Libanon immer mehr Leute mit gefälschten syrischen Pässen ins Land kämen.
Eine Zusammenarbeit mit der Türkei gilt in der EU als Schlüssel, um den Druck in der Flüchtlingskrise zu verringern. Es ist das wichtigste Transitland auf dem Weg nach Europa. In der Türkei sind bereits rund zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien untergekommen.
Um ihre Situation zu verbessern, will die EU dem Land mit drei Milliarden Euro helfen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel forderte in der Flüchtlingsdebatte, die illegale Zuwanderung nach Europa spürbar zu vermindern.
Am Rande des EU-Gipfels versammelte sich der «Club der Willigen» aus elf europäischen Ländern, die der Türkei Flüchtlingskontingente abnehmen wollen. Zahlen wurden bisher nicht genannt. Davutoglu forderte, die Umsiedlung von Syrern aus der Türkei in EU-Staaten zu beginnen und insgesamt grosszügiger vorzugehen.
Bei dem freiwilligen Programm können alle 28 Mitgliedstaaten mitmachen, aber vor allem die Osteuropäer sperren sich dagegen. Die niederländische EU-Ratspräsidentschaft, die vom 1. Januar an die Amtsgeschäfte der Union führt, wird eine Arbeitsgruppe einsetzen.
Zum «Club der Willigen» kamen ausser Merkel und Davutoglu auch Spitzenvertreter aus Österreich, Luxemburg, Griechenland, Schweden, Belgien, Finnland, Slowenien, Portugal, Frankreich und den Niederlanden.
Heftig umstritten ist auch der Vorstoss der EU-Kommission zur Stärkung des europäischen Grenzschutzes. Die Pläne sehen vor, dass eine gestärkte europäische Grenzschutzagentur notfalls auch gegen den Willen betroffener Staaten zur Sicherung der Aussengrenzen aktiv werden kann. Länder wie Polen oder Ungarn kritisieren den Vorstoss - sie fürchten um ihre Souveränität.
Da der Vorstoss erst vor kurzem publiziert wurde, können die «EU-Chefs» dazu noch nichts entscheiden. Doch Merkel machte deutlich, dass sie auf eine Gipfel-Empfehlung zu «sehr schnellen» Beratungen über die Frage hofft.
EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte seinerseits: «Falls wir die Vorschläge der Kommission zurückweisen, werden wir eine andere, ähnlich schmerzhafte Lösung finden müssen.» Denn die Schengen-Staaten seien nicht mehr in der Lage sind, ihre Aussengrenzen zu schützen.
Denn innerhalb des Schengen-Raumes können die Menschen herumreisen, ohne den Reisepass oder eine ID-Karte zu zeigen. Dazu muss aber die Aussengrenze gut überwacht und geschützt werden. Griechenland etwa kann aufgrund der vielen Flüchtlinge, die nach Europa streben, die Menschen jedoch nicht mehr wie vorgeschrieben kontrollieren und registrieren.
Der EU-Gipfel sollte aber vor allem auch Impulse geben, damit die Umsiedlung von Flüchtlingen innerhalb Europas beschleunigt wird: Von der vereinbarten Zahl von 160'000 Asylsuchenden fanden nach jüngsten Angaben gerade einmal 232 einen neuen Wohnsitz. Zwar wurde die Umsiedlung bereits vor rund drei Monaten vereinbart, doch mehrere Länder vor allem aus Osteuropa stellen sich quer.
Verärgert über dieses Verhalten deutete der österreichische Kanzler Werner Faymann an, dass finanzielle Konsequenzen für Länder denkbar seien, die keinen Beitrag zur Bewältigung der Flüchtlingskrise leisten wollten. Alle 28 EU-Länder müssten sich beteiligen, «da kann sich niemand wegdrücken».
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban kritisierte umgehend den Vorstoss von Faymann. Bestimmte linke Regierungen würden versuchen, «uns zu erpressen», sagte er. «Das ist nicht die Art und Weise, wie sich Europäer benehmen.»
Auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sprach sich dagegen aus, Mitgliedsländer mit finanziellem Druck zur schnelleren Umsetzung der vereinbarten Verteilung von Flüchtlingen zu zwingen. «Ich mag diese Drohgebärde nicht so», sagte er.