EU-Gegner Johnson will nicht regieren
Boris nimmt den Exit

Der Ex-Bügermeister von London führte die Brexit-Kampagne an, gewann - und stellt sich nun nicht als neuer Premierminister zur Wahl.
Publiziert: 01.07.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 01:35 Uhr
Was für eine Überraschung, als er gestern Mittag vor die Presse trat: Boris nimmt den Exit.
Foto: Matt Dunham
Adrian Meyer

Her mit dem Popcorn! Die britische Politik gleicht derzeit einer Mischung aus «House of Cards» und «Game of ­Thrones». Wie diese beiden beliebten TV-Serien ist sie derzeit voller Intrigen, Lügen, Rache und unerwarteter Wendungen. 

Nach dem Brexit zerfleischt sich das politische Establishment. Erst trat Premierminister Cameron zurück. Dann implodierte die Oppositionspartei Labour: 172 von 229 Abgeordneten entzogen ihrem Vorsitzenden Jeremy Corbyn das Vertrauen. Gleichzeitig begann bei Camerons Konservativen das Gerangel um das Amt des Premiers. Bis gestern Mittag mussten die Kandidaten ihre Bewerbung bei der Partei einreichen. 

Den neuen Partei- und damit Regierungschef bestimmen die rund 150'000 konservativen Parteimitglieder. Als Anwärter gesetzt galt eigentlich die Galionsfigur der Brexit-Kampagne: der ehemalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson. Was für eine Überraschung darum, als er gestern Mittag vor die Presse trat: Boris nimmt den Exit! 

Er sei nicht derjenige, der das Land nach dem EU-Referendum führen sollte, sagte er. Nach Beratungen mit Kollegen und angesichts der Verhältnisse im Parlament sei er zum Schluss gekommen, dass er «nicht die richtige Person» dafür sei.

Was für ein gewaltiger Rückzieher. «Feigling!», hallt es seither nicht nur in den sozialen Netzwerken. Da kämpft also dieser Mann an vorderster Front für den EU-Austritt, bringt seinen alten Saufkumpanen Cameron zu Fall, ist mit am meisten verantwortlich für politisches Chaos und wirtschaftliche Unsicherheit im Land – und haut ab! Lässt den hinterlassenen Scherbenhaufen andere beseitigen.

Tatsächlich fragte man sich schon seit Tagen, wo Johnson eigentlich steckte. Statt sich als Sieger feiern zu lassen, verschanzte er sich in seinem Landhaus. Zum Brexit äusserte er sich nur per Zeitungskolumne. Gestern offenbarte sich, was ihm Kritiker längst unterstellen: Dass er sich nur aus Machtkalkül für den Austritt engagiert hatte. Dass er die Zukunft des Landes aufs Spiel setzte, um Premierminister zu werden. Dass er gar nicht mit einem Ja zum Brexit gerechnet hatte, sondern mit ­einem knappen Nein. Um dann in die Downing Street Nummer 10 einzuziehen – als Versöhner, als Märtyrer. 

Jetzt ist Boris erledigt. Wer sich so schamlos davor drückt, Verantwortung zu übernehmen, ist selbst in diesem bizarren Polit-Theater weg von der Bühne.

Pure Ironie, dass der ewige Opportunist Johnson gestern gleich selber Opfer eines Verrats wurde. Ausgerechnet sein Brexit-Handlanger, Justizminister Michael Gove, stellte sich zur Wahl. Seine Begründung: Johnson habe nicht die nötigen Führungsqualitäten. 

Gove muss sich nun mit Innenministerin The­resa May ­duellieren, einer zweiten «eisernen Lady», wie es heisst. Die nächste Episode im Brexit-Thriller folgt bestimmt.

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