Allein in Bosnien gab es dieses Jahr 76 Prozent mehr Ankünfte von Migranten als 2018. Doch die Balkanroute könnte wieder weniger attraktiv werden für Menschen aus Afrika, Asien und dem nahen Osten, die in Europa auf ein neues Leben hoffen. Denn wieder mehr Migranten riskieren die gefährliche Überfahrt auf dem Mittelmeer.
Seit Mitte 2018 senkte eine scharfe Abschottungspolitik von Italiens regierenden Nationalisten die Zahl der Überfahrten auf dem Mittelmeer zwar fast auf null. Jetzt scheint die Mittelmeerroute wieder durchlässig.
Vor Tunesien sank letzte Woche ein Schiff mit 86 Migranten an Bord, nur vier überlebten. Doch seit europäische Rettungsschiffe wieder aktiv nach in Seenot geratenen, hoffnungslos überladenen Booten suchen, sind auch die Chancen wieder gestiegen, die gefährliche Reise zu überleben und Europa zu erreichen.
Malta zeigt Erbarmen
Ohne Schlepper bleibt jeder Migrant an der Küste gestrandet. Parallel zur erhöhten Schlepperaktivität sind auch europäische Rettungsschiffe wieder aktiv, die von Schleppern auf dem offenen Meer ausgesetzte Migranten aufnehmen.
Zwei deutsche Rettungsschiffe brachten unlängst rund 110 Migranten in europäische Sicherheit. Ein erstes Schiff, die Sea-Watch 3 mit der jungen deutschen Kapitänin Carola Rackete (31) am Steuer, legte trotz Verbot der italienischen Behörden im Hafen der Insel Lampedusa an.
Daraufhin versuchte auch das deutsche Rettungsschiff Alan Kurdi in Lampedusa anzulegen. Die Italiener drohten, liessen aber ein italienisches Flüchtlingsschiff an Land. Die Alan Kurdi nahm Kurs auf Malta, wo alle Migranten an Land gelassen wurden. Gleich wieder unterwegs, nahm das Rettungsschiff 44 weitere Migranten von einem Holzboot auf.
EU fordert Mitgliedstaaten zu raschem Handeln auf
Inzwischen hat die EU-Kommission ihre Mitgliedsstaaten aufgefordert, sich auf vorläufige Regeln zur Verteilung von Flüchtlingen zu einigen. «Die Herausforderungen der Migration können nicht nur in der Verantwortung von Italien und Malta liegen, nur weil sich diese Staaten am Mittelmeer befinden.» Das sagte der für Migration zuständige EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos der deutschen Zeitung «Die Welt».
Bis neuen Regeln zur Verteilung von Flüchtlingen umgesetzt würden, sollen alle EU-Mitglieder «ihre Arbeit beschleunigen und vorläufige Vereinbarungen finden, wie mit den Menschen umzugehen ist, wenn sie die Rettungsschiffe verlassen haben».
Die neue Migrationswelle stellt auch die nordafrikanischen Küstenstaaten vor erhebliche Herausforderungen. Marokko hat allein über das Wochenende 271 Migranten mit Ziel Europa im Mittelmeer aus Seenot gerettet. Die Menschen seien in 18 Booten unterwegs gewesen, meldete die amtliche Nachrichtenagentur des Landes.
Irak-Krieg würde Flüchtlingswelle auslösen
Dabei geht vergessen, unter welcher Flüchtlingslast nordafrikanische Staaten schon ächzen. Allein Ägypten beherbergt derzeit mehr als 247'000 registrierte Flüchtlinge und Asylbewerber aus 58 Nationen, von denen mehr als die Hälfte vor dem achtjährigen Konflikt in Syrien geflohen ist.
Libyen wiederum versucht in Abstimmung mit der EU, die Seeroute nach Italien durch die örtliche Küstenwache zu blockieren. Daher ist Marokko zu einem wichtigen Ausgangspunkt für Migranten geworden. Laut marokkanischen Behörden wurden in diesem Jahr schon 25'000 Menschen daran gehindert, auf dem Seeweg illegal Spanien zu erreichen.
Ein Ansturm von Flüchtlingen droht Europa, wenn im Golf von Oman Krieg zwischen den USA und Iran ausbricht. Schon nach den Kriegen in Afghanistan und Irak war unterschätzt worden, welche Folgen sie dereinst für die Zuwanderung in Europa haben werden. Luxemburgs Aussenminister Jean Asselborn warnte vor dem «Risiko einer riesigen Flüchtlingswelle», sollte sich der Iran-Konflikt weiter verschärfen. (kes)