Die EU-Hauptstadt Brüssel steht im Ruf, ein Lobbyisten-Paradies zu sein: Die Stadt, in der «Big Business» und EU-Bürokraten in Nobelrestaurants über die Köpfe der kleinen Leute hinweg entscheiden. Die Glaubwürdigkeit des europäischen Friedensprojekts hat deshalb stark gelitten.
Und in dieser ernsten Lage fällt dem ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso nichts Besseres ein, als sich seinen Karriereherbst bei der berühmt-berüchtigten Investmentbank Goldman Sachs vergolden zu lassen. Die bedeutendste Investmentbank der Welt heuerte den 60-jährigen Portugiesen als «Präsidenten ohne Geschäftsbereich» an, um die Turbulenzen rund um den «Brexit» möglichst schadenlos zu überstehen.
Pension streichen?
Das Verhalten ihres Ex-Chefs stösst einigen EU-Beamten sauer auf: Sie lancierten eine Online-Petition, um die Europäische Kommission und den Rat der Europäischen Union dazu zu bewegen, die Angelegenheit vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen.
Als Massnahmen schlagen die Initianten vor, Barroso die Rente zu streichen und seine europäischen Ehrentitel abzuerkennen. Der Politiker aus Lissabon ist übrigens auch stolzer Träger eines Ehrendoktortitels der Universität Genf.
«Moralisch verwerflich»
Schon fast 150'000 Menschen haben die EU-Angestellten in ihrem Anliegen unterstützt. Die empörten Initianten schreiben über Barrosos neues Engagement: «Es ist moralisch verwerflich, da es die Ehre und Rechtschaffenheit des europäischen öffentlichen Dienstes untergräbt, dessen Aufgabe die Arbeit für das europäische Gemeinwohl ist.»
Zudem sei sein Verhalten unverantwortlich, da es «die euroskeptische Bewegung nährt, die immer mehr offen europafeindliche Züge trägt».
Beamte und Banker
Goldman Sachs war stark in die Hypothekenblase verwickelt, die 2008 zur schlimmsten Wirtschaftskrise seit der Grossen Depression der 1930er Jahre geführt hat. Auch bei der griechischen Schuldenkrise hatte die Bank ihre Hände im Spiel. Sie half zunächst der griechischen Regierung ihr Defizit zu verschleiern, nur um später in vollem Wissen über die Untragbarkeit der Schuldenlast gegen das Land zu spekulieren. Übrigens war auch der EZB-Chef Mario Draghi einst Vizepräsident bei Goldman Sachs International.
Die Protestinitiative dürfte kurzfristig für heisse Diskussionen sorgen, wird aber aller Wahrscheinlichkeit nach bald wieder versanden – wie bei vielen vergleichbaren Fällen. Trotzdem lässt sich festhalten: Barroso steht symptomatisch für die Glaubwürdigkeitskrise der EU.