Es klingt fast schon versöhnlich. Und stimmt so kurz vor Weihnachten optimistisch. Die Rede ist von einem internationalen Friedensgipfel und insbesondere einem Friedensplan, den der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) in Zusammenhang mit dem anhaltenden russischen Angriffskrieg bei seinem Besuch in den USA vorgestellt hat. Konkret geht es bei dem Plan um zehn Bedingungen, die Selenski erfüllt sehen will, sollte ein Ende des Krieges erreicht werden.
Selenskis Zehn-Punkte-Plan umfasst im Einzelnen: Strahlenschutz und nukleare Sicherheit, Lebensmittelsicherheit, Sicherheit der Energieversorgung, Freiheit für alle Gefangenen und Deportierten, Charta der Vereinten Nationen sichert die territoriale Integrität der Ukraine zu, Rückzug aller russischen Truppen und Einstellung aller Feindseligkeiten, internationaler Sondergerichtshof zur Untersuchung aller russischen Verbrechen sowie Wiedergutmachungen, unmittelbarer Schutz der Umwelt, Verhinderung weiterer Eskalationen, Friedensabkommen mit der Bestätigung der Beendigung des Krieges. Eine ganze Reihe an Forderungen also.
Nicht mal Waffenstillstand ist realistisch
Der Krieg dauert mittlerweile schon über zehn Monate. ETH-Strategieexperte Marcel Berni (34) hat für Blick die Lage analysiert.
Seine Einschätzung: «Ich sehe derzeit kein Potenzial für Waffenstillstands- oder sogar für Friedensverhandlungen.» Beide Seiten würden sich derzeit militärische Geländegewinne erhoffen, was den Krieg «noch nicht reif für Verhandlungen» mache, sagt Berni.
Er stellt gleichzeitig die Fragen in den Raum: «Worüber soll denn verhandelt werden? Über einen russischen Abzug aus der Ukraine? Oder über eine ukrainische Kapitulation?» Beides sei zurzeit wegen der militärischen Kräftekonstellation und der Ansprüche der Kriegsparteien unrealistisch.
«Bloss eine PR-Offensive vor Weihnachten»
Wie es der Zeitpunkt schon vermuten lässt: «Selenskis Friedensplan ist als Teil einer Public-Relations-Offensive vor Weihnachten zu sehen», sagt der Strategieexperte weiter. Der russische Präsident Wladimir Putin (70) werde sich davon allerdings nicht beeindrucken lassen. «Er will weiterhin ukrainische Gebiete als Teil der Russischen Föderation annektieren.» Das wiederum könne Selenski nicht zulassen. «Folglich wird sich der Krieg in die Länge ziehen», sagt Berni.
Gemäss Einschätzung von Strategieexperte Berni ist dies mit ein Grund für Selenskis Besuch im Weissen Haus: «Er braucht langfristige Unterstützung von Amerika.»
Friedensgespräche oder gar ein internationaler Friedensgipfel haben sich seit Ausbruch des Krieges nie konkretisiert. Gesprächsvorstösse wurden sowohl von Kiew als auch von Moskau abgeschmettert. Weder die Ukraine noch Russland haben sich je in eine Position gebracht, aus der die Länder nachhaltig über entscheidende Eckpunkte eines Friedensabkommens wie Grenzziehungen oder Entschädigungszahlungen hätten verhandeln können.