«Erwartbar und zerstörerisch»
US-Repräsentantenhaus stimmt für milliardenschwere Ukraine-Hilfen

Das US-Repräsentantenhaus hat ein milliardenschweres Hilfspaket mit dringend benötigten Waffenlieferungen für die Ukraine gebilligt. In Russland kam die Nachricht nicht gut an.
Publiziert: 20.04.2024 um 22:48 Uhr
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Aktualisiert: 21.04.2024 um 08:58 Uhr
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Den Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, könnte die Abstimmung den Job kosten. Er wird von Trump-Hardlinern attackiert.
Foto: keystone-sda.ch

Monatelang hatten die Republikaner in den USA den Gesetzesentwurf blockiert – die fehlenden, so dringend benötigten Waffenlieferungen machten der Ukraine schwer zu schaffen. 

Nun hat die Parlamentskammer am Samstagnachmittag (Ortszeit) einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet, der rund 61 Milliarden US-Dollar für Kiew enthält. Die nötige Zustimmung des Senats steht noch aus, gilt aber als sicher. 

Applaus nach Abstimmung

Im Plenum gab es nach der Abstimmung Applaus. Etliche Abgeordnete wedelten mit Ukraine-Flaggen und riefen «Ukraine, Ukraine». Sie wurden zur Ordnung gerufen. Zahlreiche Republikaner votierten gegen die Hilfen, konnten aber die Annahme mithilfe der Demokraten von US-Präsident Joe Biden nicht verhindern. Die Republikaner haben in der Kammer eine hauchdünne Mehrheit. 

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski dankte dem US-Repräsentantenhaus für das Votum. Er sei «dankbar für die Entscheidung, die die Geschichte auf dem richtigen Weg hält», teilte er kurz nach der Abstimmung auf der Plattform X mit. US-Präsident Biden bedankte sich ebenfalls bei den Abgeordneten der Kammer und forderte den Senat auf, nun schnell zu handeln. Es wird erwartet, dass die Kammer bereits in der kommenden Woche über das Paket abstimmen könnte.

Im Kreml nahm man die Nachricht zähneknirschend entgegen: «Die Entscheidung, der Ukraine Hilfe zu leisten, war erwartbar und wurde vorhergesagt. Sie wird die Vereinigten Staaten von Amerika weiter reich machen und die Ukraine weiter zugrunde richten, sie wird zu noch mehr toten Ukrainern führen», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.

Zugleich warnte Peskow einmal mehr davor, russisches Staatsvermögen zu konfiszieren. Amerika werde sich dafür verantworten müssen, wenn es tatsächlich dazu komme. Russland werde entsprechend eigener Interessen eine Antwort darauf geben, sagte der Kremlsprecher. Das Repräsentantenhaus votierte am Samstag auch für die Beschlagnahmung eingefrorener russischer Vermögenswerte. Die Details der Entscheidung müssten noch analysiert werden, sagte Peskow.

«Tag der Zuversicht»

Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock sprach von einem «Tag der Zuversicht für die Ukraine und Europas Sicherheit». «Die Herzen der wichtigsten Ukraine-Unterstützer schlagen wieder im Takt», schrieb die Grünen-Politikerin am Samstagabend auf X. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg lobte das Votum als Investition in die Sicherheit der Nato-Staaten. «Die Ukraine nutzt die von Nato-Verbündeten bereitgestellten Waffen, um die russischen Gefechtsfähigkeiten zu zerstören», so Stoltenberg. «Das macht uns alle sicherer, in Europa und Nordamerika.» Die Abstimmung sei auch ein Zeichen, dass es in den USA weiter eine parteiübergreifende Unterstützung für die Ukraine gibt.

Das Paket sieht unter anderem Mittel für die Aufstockung des US-Militärbestands vor. Das Geld geht somit indirekt an die Ukraine, da die USA das von Russland angegriffene Land in der Regel mit Ausrüstung aus ihren Beständen ausstatten. Der Rest ist für weitere militärische Unterstützung und Finanzhilfe vorgesehen. Letztere ist als Darlehen angelegt. Zudem heisst es in dem Text, US-Präsident Biden solle der Ukraine «so bald wie machbar» weittragende Raketensysteme vom Typ Atacms zur Verfügung stellen. Kiew hofft seit langem auf das Waffensystem, dessen Raketen vom Boden aus auf Ziele am Boden abgefeuert werden.

Milliarden auch für Israel und Taiwan

Das Repräsentantenhaus votierte am Samstag nicht nur für die Unterstützung für Kiew. Der Vorsitzende Johnson stellte weitere Pakete zur Abstimmung. Ein weiterer Entwurf sieht gut 26 Milliarden US-Dollar für Israel vor. Einerseits sollen damit zum Beispiel Israels Raketenabwehr und die laufenden Militäroperationen der USA in der Region finanziert werden. Andererseits sind rund neun Milliarden US-Dollar für humanitäre Unterstützung gedacht, darunter für die Menschen im Gazastreifen. Bereits angenommen sind rund acht Milliarden US-Dollar an Unterstützung für Taiwan und den Indopazifik-Raum und ein Text, der einen Verkauf der chinesischen Kurzvideo-App Tiktok vorsieht sowie Sanktionen gegen den Iran und die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte.

Auch das stiess in Moskau auf Kritik. «Die Gewährung von Militärhilfe der Vereinigten Staaten für die Ukraine, Israel und Taiwan wird die globalen Krisen verschärfen», sagte die Sprecherin des russischen Aussenministeriums, Maria Sacharowa. «Die Militärhilfe für das Kiewer Regime ist eine direkte Unterstützung terroristischer Aktivitäten; für Taiwan – eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas; für Israel – ein direkter Weg zur Eskalation einer noch nie dagewesenen Verschärfung der Lage in der Region.»

Eigentlich hatte der Senat bereits im Februar für ein von Biden beantragtes milliardenschweres Hilfspaket votiert. Dieses sah ebenfalls Milliardenhilfen für die Ukraine, Israel und Taiwan vor. Im Repräsentantenhaus kam es aber nie zu einer Abstimmung, weil in der von den Republikanern dominierten Kammer ein parteiinterner Machtkampf tobt. Der Vorsitzende Johnson wird vor allem vom rechten Rand seiner Partei mächtig unter Druck gesetzt.

Johnson könnte es den Job kosten

Einen ersten Antrag für seine Abwahl reichte die stramm rechte Republikanerin Marjorie Taylor Greene bereits Ende März ein, später schlossen sich zwei weitere Abgeordnete der Partei an. Für sie ist die Abstimmung über Ukraine-Hilfen eine rote Linie. Ob Greene wirklich eine Abstimmung über Johnsons Abwahl forcieren wird, ist offen. Sollte sie dies tun, wäre Johnson wegen der knappen Mehrheit in der Kammer wohl auch hier auf die Unterstützung der Demokraten angewiesen. Auf die könnte er vermutlich zählen, da diese seit Monaten auf die Ukraine-Hilfen drängen. Greene machte am Samstag deutlich, eine entsprechende Abstimmung zumindest nicht sofort zu erzwingen.

Die USA gelten als wichtigster Verbündeter der Ukraine im Abwehrkampf gegen die russische Invasion. Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 hat die Regierung von Präsident Biden militärische Hilfe im Umfang von mehr als 44 Milliarden US-Dollar für Kiew bereitgestellt. Hinzu kommen noch weitere Milliarden an nicht-militärischer Finanzhilfe. Die vom Kongress genehmigten Mittel sind nach Angaben der US-Regierung aufgebraucht – deshalb ist die Abstimmung über neue Hilfsmittel von grosser Bedeutung.

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