Erstmals spricht Mali-Geisel Werner Greiner
Brite rettete mir das Leben – dann wurde er getötet

Werner Greiner ist durch die Hölle gegangen: In der Geiselhaft verlor er seinen Lebenswillen und wurde depressiv. Bis heute plagen ihn Albträume.
Publiziert: 27.09.2009 um 14:55 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 23:28 Uhr
Verbindung: Afrikanische ­Figuren erinnern im Zuhause des Ehepaars ­Greiner an das Land, in dem die beiden fast ihr ­Leben ­verloren ­haben.
Foto: Siggi Bucher
Von Beat Kraushaar und Romina Lenzlinger

Sechs Monate hielten Al-Kaida-Terroristen Werner Greiner (57) in der Wüste von Mali gefangen (siehe Box). Mitte Juli kam er frei. «Ich habe unter Bedingungen leben müssen, die man sich kaum vorstellen kann», sagte Greiner damals, ohne konkret zu werden. Seither schwieg er beharrlich.

In der englischen Zeitung «Sunday Telegraph» hat der Anwalt aus dem Kanton Zürich jetzt erstmals sein Schweigen gebrochen: SonntagsBlick fasst mit Greiners Einverständnis die Schilderungen gegenüber der Zeitung zu seiner Geiselhaft zusammen.

Tagsüber war es unerträglich heiss: bis 50 Grad im Schatten. Eine Decke über einem Baum war nach der Befreiung seiner Frau Ende April 2009 sein einziger Schutz. Drei Wochen nach dem Kidnapping wurde Greiner von seinen Mitgefangenen getrennt. «Eine schlimme Zeit. Ich machte mir grosse Sorgen um meine Frau, die an Rücken und Hand verletzt war und nicht wusste, wo ich war», so Werner Greiner.

Als man ihn zurück zu den anderen Gefangenen brachte, erkrankte er schwer. Er leidet an einer Fehlfunktion der Schilddrüse und hatte bei der Geiselnahme seine Medikamente verloren. «Ohne Pillen wurde ich nach einer gewissen Zeit sehr schwach und sehr depressiv.» Doch er hatte einen Schutzengel: den britischen Mitgefangenen Edwin Dyer († 61), der in Österreich lebte und gut Deutsch sprach. «Es gab nach der Befreiung meiner Frau eine Zeit, wo Edwin für mich sorgen musste, weil ich es selber nicht mehr konnte. Ich bin überzeugt, dass ich ohne seine Hilfe gestorben wäre.»

Dyer hatte sich schon um Greiners Frau Gabriella (54) gekümmert, als er von der Gruppe getrennt war. Jetzt sorgte der Brite dafür, dass Greiner ass und trank. «Das Essen war monoton. Es gab nur Reis und Spaghetti. Das Wasser kam aus Benzinfässern.»

Als seine Frau freigelassen wurde, befürchtete sie, ihren Mann nicht mehr lebend wiederzusehen. «Meine letzten Worte an Edwin waren: ‹Bitte kümmere dich um meinen Mann.›» Dyer beherzigte ihren Wunsch. «Als meine Füsse so anschwollen, dass ich nicht mehr in die Schuhe kam, nähte er mir aus Socken und Schuheinlagen eine Art Sandalen. Ohne die hätte ich im heissen Sand nicht einmal hinter einer Düne austreten können», meint Greiner. Dyer setzte sich nach der Befreiung von Greiners Ehefrau auch dafür ein, dass die Geiselnehmer endlich die Schilddrüsenmedikamente für die Schweizer Geisel herausgaben.

Wenn Greiner die Hoffnung verlor, machte ihm Edwin Mut. «Heute ist ein schlechter Tag. Aber eigentlich ist es nur ein weiterer Tag, bis wir freigelassen werden», sagte er dann.

Am 31. Mai wurden die beiden getrennt. Greiner war besorgt. Er fragte die Terroristen nach dem Briten. «Sie sagten nur: ‹Il est parti.›» Greiner nahm an, sein Freund sei frei.

Sechs Wochen später, bei seiner Freilassung, erfuhr er die Wahrheit: Die Terroristen hatten Edwin hingerichtet. «Es war ein furchtbarer Schock. Ich konnte es nicht fassen, dass Edwin so sterben musste.» Greiner hat deswegen Albträume. Heute meint er: «Wir haben immer noch Mühe damit, seinen Tod zu akzeptieren.»

Zu SonntagsBlick sagt er: «Dass wir dem ‹Sunday Telegraph› das Interview gegeben haben, war eine Ausnahme. Wir wollen damit einzig Edwin ehren, dem ich mein Leben verdanke und der in der Geiselhaft über sich hinausgewachsen ist.»

Der Fall
Nach dem Besuch eines Tuareg-Festes in Mali am 22. Januar 2009 wird die Reisegruppe mit dem Ehepaar Greiner an der Grenze zum Niger überfallen. Den Insassen eines Jeeps gelingt die Flucht. Diejenigen der anderen zwei Wagen geraten in Geiselhaft: Greiners, die 77-jährige Deutsche Marianne P. und der Brite Edwin Dyer. Hinter der Entführung steht die Terrorgruppe des nordafrikanischen Al-Kaida-Ablegers, der Salafistengruppe für Gebet und Kampf (GSPC).

Im April lassen die Geiselnehmer Greiners Frau und die Deutsche frei. Der Brite und der Schweizer bleiben in Geiselhaft. Ende Mai töten die Terroristen Dyer. Greiner kommt Mitte Juli frei. Trotz offizieller Dementi wird davon ausgegangen, dass für die Freilassung Lösegeld bezahlt wurde.
Nach dem Besuch eines Tuareg-Festes in Mali am 22. Januar 2009 wird die Reisegruppe mit dem Ehepaar Greiner an der Grenze zum Niger überfallen. Den Insassen eines Jeeps gelingt die Flucht. Diejenigen der anderen zwei Wagen geraten in Geiselhaft: Greiners, die 77-jährige Deutsche Marianne P. und der Brite Edwin Dyer. Hinter der Entführung steht die Terrorgruppe des nordafrikanischen Al-Kaida-Ablegers, der Salafistengruppe für Gebet und Kampf (GSPC).

Im April lassen die Geiselnehmer Greiners Frau und die Deutsche frei. Der Brite und der Schweizer bleiben in Geiselhaft. Ende Mai töten die Terroristen Dyer. Greiner kommt Mitte Juli frei. Trotz offizieller Dementi wird davon ausgegangen, dass für die Freilassung Lösegeld bezahlt wurde.
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