Erfolgs-Regisseur und Philippinen-Kenner Michael Steiner über «Dirty Rody» Duterte
Die Rache des Volkes

Regisseur Michael Steiner («Grounding», «Sennentuntschi», «Mein Name ist Eugen») schreibt in BLICK über den Prolo-Präsidenten Rodrigo Duterte (71) der Philippinen. Steiner lebte die letzten drei Jahren mit seiner Philippinischen Frau und den beiden Kindern in Manila und Tacloban.
Publiziert: 09.09.2016 um 16:23 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 00:57 Uhr
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Regisseur Michael Steiner.
Foto: Zvg
Von Michael Steiner

Kalibo ist ein verschlafenes Nest in den Visayas, dem scheinbar nur der endlose Strom von Touristen auf der Durchreise von und nach Boracay Leben einhaucht. Nicht so am 20sten April dieses Jahres.  Die ganze Stadt war in Aufruhr, Tausende standen an den Strassen Spalier. Eine elektrisierende Energie lag in der Luft. Die Menschen warteten auf Rodrigo «Rody» Duterte, der Kalibo auf seiner Wahlkampftour besuchte. Der Mann, der diese Woche US-Präsident Barack Obama einen «Hurensohn» schimpfte.

Als ich den Flughafen erreichte, sah ich Duterte, wie er unter dem Jubel der Menschen den Terminal verliess. Es war eine Begeisterung, wie ich sie auf den Philippinen für einen Politiker noch nie gesehen hatte. In diesem Moment war mir klar, wer der neue Präsidenten der Philippinen sein würde: Dirty Rody.

Philippinischer Polizeichef bestätigt 756 Tote Diesen Spitznamen holte sich Rody Duterte in Davao, wo ich ihn 10 Jahre zuvor zum ersten Mal begenete. Eine Recherche über einen Steinzeitstamm in den 70ern, der dann doch keiner war, führte mich nach Davao, der grössten Stadt in Mindanao. Mein Autor Michael Sauter und ich verliessen gerade das Hotel, als ein lautes Knattern unsere Aufmerksamkeit erregte. Ein Freizeitrocker sass auf einer Maschine mit weit mehr als 1000 Kubik und tuckerte durch die Strasse. Er sah aus wie ein Filipino, der zuviele amerikanische easy and not so easy rider Filme geschaut hatte. Plötzlich schrie er Jugendliche an, die eine Papiertüte auf die Strasse warfen. Die Teenager erstarrten vor Angst und die Tüte war binnen Sekunden in einer Mülltonne entsorgt. Wir fanden das sehr amüsant: ein Hobbyrocker, der Jugendliche anbrüllt und es tatsächlich schafft, dass diese parieren, als hätten sie eine Waffe am Kopf. Unser Begleiter Myfel, Professor an der Uni in Davao, klärte uns auf, dass der Herr kein Rocker sei, sondern der Bürgermeister der Stadt. Dirty Rody, auch der «Punisher» genannt. Er sei der Grund dafür, dass wir fast nirgends rauchen durften und nach Mitternacht Schwierigkeiten hatten, eine Bar zu finden. Auch begegnete man in Davao keinen bettelnden Kinder wie sonst überall auf den Philippinen. Eine Vertreterin der einzigen NGO für Menschenrechte in der Stadt erzählte uns, Duterte habe die Stadt mit illegalen Todesschwadronen von der Kriminalität befreit. Killerkommandos auf Motorrädern hätten vom jugendlichen Konsumenten bis zum Grossdealer alle erschossen, die mit der Droge «Shabu» in Kontakt kamen.

Rodrigo Duterte fährt mit auf dem Töff durch seine Heimatstadt Davao.

Shabu ist das grösste Übel auf den Philippinen, es ist ein Crystal Meth Verschnitt, der billig produziert werden kann und üble Schäden anrichtet. Der Preis von Shabu verzehnfachte sich seit dem Jahr 2000, über 4 Millionen Menschen sind nach Schätzungen der Droge mittlerweilen verfallen. Die meisten Verbrechen und Morde werden unter dem Einfluss von Shabu begangen, Familien mit süchtigen Angehörigen brechen auseinander, genauso wie die Süchtigen selber, die buchstäblich zerfallen. Aufgrund des schlechten Bildungssystems gibt es keine Prävention und in den Augen vieler Heranwachsender ist die Droge nicht schlimmer als eine Zigarette. Vor allem in ländlichen Gegenden ist Shabu allgegenwärtig und als ländliche Gegend gilt auf den Philippinen alles ausserhalb des Molochs Metromanila mit seinen geschätzten 12 und gefühlten 16 Millionen Einwohnern. Die übrigen 90 Millionen Menschen leben auf den über 7000 Inseln des Archipels. Ein riesiger Markt also für Produzenten und Händler.

Dieses Bild ging um die Welt: Jennelyn Olaires (26) hält ihren gerade erschossenen Freund in den Armen. Auf dem Schild steht: «Pusher Ako» - zu Deutsch: «Ich bin ein Drogendealer".
Foto: REUTERS/Czar Dancel/File Photo

Die Philippinen sind eine korrupte Nation, wobei diese Korruption für uns Schweizer etwas ist, das wir nicht mal im Ansatz kennen. Mein Schwiegervater erzählte mir folgenden Vergleich: Korruption in Italien bedeutet, dass zwei Männer in einem Hinterzimmer ein illegales Geschäft an einem Tisch abwickeln. In Afrika machen sie denselben Deal unter dem Tisch, während in den Philippinen der Tisch selber auch Teil des Deals ist. Auf den Drogenhandel bezogen führte diese Mentalität dazu, dass Politiker, Bürgermeister, Polizisten und Zöllner in den Handel involviert sind und gut mitverdienen. Es bildeten sich Kartelle, die bald begannen, sich gegenseitig die Märkte abzujagen. Mit verheerenden Folgen: Drogenbarone finanzieren Wahlkämpfe ihrer Strohmänner und wenn es an der Wahlurne nicht funktioniert, wird gemordet.

In den Slums (hier in Manila) ist Shabu weit verbreitet.
Foto: AFP PHOTO / NOEL CELIS

Die Diplomaten der westlichen Nationen betrachteten im letzten Herbst die Drogenkartelle als die grösste Gefahr für das Land. Der Kollaps der Gesellschaft und somit auch der Wirtschaft wurden als mögliche Szenarien diskutiert. Im Vergleich zu den Problemen, die Shabu auf den Philippinen verursacht, war die Drogenhölle am Zürcher Platzspitz ein Kindergeburtstag.

Ein Drogendealer wird verhaftet.
Foto: AFP PHOTO / NOEL CELIS

Davao war ein Hotspot der Kriminalität mit der höchsten Mordrate des Landes. Die Stadt ist ein Schmelztiegel von Kulturen und Religionen und nirgendwo ist die Präsenz von radikalen Gruppierungen stärker. Keine Nation oder Regierung brachte es fertig, Mindanao zu kontrollieren, denn wo indigene Stämme, Kommunisten, Islamisten und private Milizarmeen aufeinander prallen, ist Friede ein Wort, welches es nur in der Kirche oder in der Moschee zu hören gibt. Dank der ideologischen Unterstützung aus der ehemaligen Sowjetunion, Amerika und islamischen Nachbarstaaten gibt es in Mindanao Waffen wie Sand am Meer. Für die Oligarchie in Manila war und ist Mindanao die Achillesferse der Nation. Die grösste Greueltat des Landes, die Ermordung von über 30 Journalisten, geschah auch dort. In Mindanao zu leben bedeutete in Angst zu leben. Davao zu befrieden schien unmöglich, bis Dirty Rodi das Gegenteil bewies. Damit schuf er einen Mythos des gerechten Punsihers, der mit harter Hand für das Wohl des Volkes sorgt.

Der Schmerz eines Vaters, der seinen Sohn verloren hat: Polizisten töteten sein Kind, weil es Drogen konsumierte.
Foto: AFP PHOTO / NOEL CELIS

Ein weiser Politiker sagte mir, es gäbe nur eine Lösung für Mindanao: «We dont have to disarm the men, we have to dismen the arms». Das mag zynisch klingen, aber der Mann erläuterte mir seine Hoffnungslosigkeit damit, dass die Konflikte nur eine Ursache haben: mangelnde Bildung. Die Erhöhung der Saläre für Beamte und Polizisten in Davao durch Duterte mag darum mit ein Grund sein, dass trotz der menschenrechtsverletzenden Methoden der Widerstand gegen ihn gering blieb. Selbst Akademiker, die sich gegen Duterte stellen, empfinden die neue Lebensqualität in Davao besser als früher. Dutertes Investitionen in staatliche Institutionen brachten ihm sogar die Sympathien der Kommunisten. Ist Duterte ein Sozialist? Oder gar ein Nationalsozialist? Wie kommt eine Nation dazu, so einen Mann zu ihrem Präsidenten zu wählen?

Ein SWAT-Team der Philippinischen Polizei stürmt ein Haus in dem Drogendealer vermutet werden.
Foto: AFP PHOTO / TED ALJIBE

Duterte ist die Rache des philippinischen Volkes an der Oligarchie, die nach der Flucht von Ferdinand Marcos sofort wieder ihre alten Pfründe besetzte. 40 Jahre lang schaute das Volk den superreichen Clans zu, bis es ihm zu viel wurde. Sie hatten genug von den leeren Versprechungen von Gleichheit, wenn sie 30 Prozent ihres Lohnes dem Staat abgeben müssen, derweil die Reichen keine Steuern bezahlen. Genug von salbungsvollen Reden, wie stolz die Lehrer, Polizisten und Beamte sein dürfen, ihrem Land zu dienen, wenn der Regen durch das Dach auf die Prüfungsblätter der Schüler fällt, wenn ohne Schmiergelder das Salär eines Polizisten zu gar nichts reicht und wenn man sogar als Beamter in höheren Etagen mit dem Jeepney zur Arbeit fahren muss. Derweil sich die Oligarchen in Manila hinter hohen Mauern Paläste bauen und sich zum Zeichen ihrer Macht mit immer höheren Wolkenkratzern duellieren, dabei aber vergessen, die öffentlichen Strassen um das Bauwerk zu teeren.

Duterte lässt Drogendealer gnadenlos verfolgen.
Foto: EPA/FRANCIS R. MALASIG

Die Philippinen sind eine Mélange aus Anarchie und Turbokapitalismus. Politiker kaufen sich ihre Wählerstimmen - auf dem Land reicht dafür ein Sack Reis, in der Stadt muss Geld auf den Tisch. Und Geld gibt es genug auf den Philippinen. Das Land ist reich an Bodenschätzen und Metromanila ist eine Stadt mit vielen Multimillionären. Würden diese Steuern bezahlen, könnte sich die Stadt eine Infrastruktur leisten, die es locker mit Shanghai oder Tokio aufnehmen kann. Aber wie soll man eine moderne Stadt bauen, wenn selbst Politiker Staatsgelder, die für die Ärmsten bestimmt sind, über Umwege in ihre eigenen Taschen stopfen? Wenn die Bodenschätze des Landes an ausländische Mineure verschachert werden? Wenn man nicht auf einen Bevölkerungszuwachs von 60 Millionen Menschen in 40 Jahren reagiert? Wenn man keine Gesetze erlässt, dass sich Paare scheiden lassen können und Kinder Alimente kriegen? Wenn man 80 Prozent der Bevölkerung ohne medizinische Grundversorgung in ärmlichen Verhältnissen leben lässt? Wenn man stur am Feudalsystem festhält und nur diejenigen belohnt, die den Bückling machen und dem System dienen?

Viele Dealer stellten sich freiwillig und gingen ins Gefängnis. Aus Angst, erschossen zu werden.
Foto: FRANCIS R. MALASIG

Die Betrügereien der gut gebildeten Oligarchie sind der Grund, weshalb das philippinische Volk Duterte gewählt hat. Seine Wähler verabscheuen Gewalt und Verbrechen gegen die Menschlichkeit genau so wie wir. Sie nehmen Verbrechen wie das aktuelle Drogendealer-Massaker aber hin in der Hoffnung, dass Duterte ihr Land zu einem Land für alle macht. Duterte will das Land von unten nach oben säubern. Es stellt sich nur die Frage, wie weit er damit kommt, denn Dutertes Feinde werden ihre Privilegien und ihren Status nicht ohne Wiederstand aufgeben. Die erste Bombe in Davao explodierte letzte Woche und forderte 14 Tote und 67 Verletzte. Die jetzt schon tödlichen Drohgebärden werden bald zur Schlacht ausarten.

Im September explodierte eine Bombe in Dutertes Heimatstat. Traurige Bilanz: 14 Tote und 67 Verletzte.
Foto: AFP PHOTO / MANMAN DEJETO

Wir als Hüter der demokratischen Ideale haben die Verzweiflung hinter den freundlichen Gesichtern des Archipels auch nicht wahrgenommen, solange Konzerne dort gut Profit und wir nett Ferien machen konnten. Wir, die wir doch alle Experten sind in Geschichte und immer voraussehen, was zu was führt. Dafür ist unsere Empörung nun umso grösser, weil Duterte unsere Vorstellung von Demokratie und Menschenrechten mit Füssen tritt und sich mit Beleidigungen gegenüber Obama demonstrativ gegen die Amerikaner stellt. Die USA sind die geliebte ungeliebte Kolonialmacht, die das Land zuerst gewaltsam erobert und dann von den Japanern befreit hat. Und die immer mit der Obrigkeit gemauschelt hat, um ihren Einfluss in Südostasien zu wahren. Dafür haben die Politiker China verteufelt, Filipinochinesen wurden und werden immer noch diskriminiert, obwohl China wirtschaftlich für die Philippinen die Lebensader ist und der Handel mit dem Nachbarn durchaus Sinn macht. Duterte ist kein Wahnsinniger, wie er in den Medien dargestellt wird. Er ist der Zorn des Landes, er ist ein lauter, ungehobelter Macho ohne Manieren, das andere Gesicht Asiens. Ein Gesicht, welches wir nicht im Reiseprospekt sehen.

Und vielleicht können wir im Westen bald wieder beruhigt aufatmen, wenn das Monster aus Davao ermordet und begraben wird. Können wir das wirklich?

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