Erdogan verhaftet Chefs der Oppositionspartei HDP
«Die Türkei hat nichts mehr mit einem Rechtsstaat zu tun»

Die türkische Polizei hat vergangene Nacht die Chefs der prokurdischen Oppositionspartei HDP verhaftet. Ein weiterer Schritt in Richtung autokratischer Staat, sagt der Türkei-Experte.
Publiziert: 05.11.2016 um 15:43 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 18:29 Uhr
Selahattin Demirtas und Figen Yuksekdag wurden letzte Nacht in der Türkei verhaftet.
Foto: Imago

Die türkische Polizei schlug mitten in der Nacht zu: Im Namen von Erdogans Anti-Terror-Kampagne stürmte sie Häuser und die Zentrale der prokurdischen Oppositionspartei HDP. Elf Personen wurden festgenommen, darunter die beiden Parteivorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag. Gegen die beiden Vorsitzenden wurde am Nachmittag eine Untersuchungshaft verhängt.

Ihre Partei ist mit 59 Sitzen die drittgrösste im Parlament und die grösste politische Vertretung der Kurden – und damit ein Dorn im Auge des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. 

Demonstranten protestieren mit Flaggen des Kurdenführers Abdullah Öcalan an einer unbewilligten Kundgebung in Zürich.
Foto: Siggi Bucher

So war die Verhaftung von Selahattin Demirtas nicht überraschend. «Mit einem Bein bin ich bereits in Haft», sagte der Chef der Kurdenpartei Anfang Juni bei einem Besuch im Bundeshaus. 

Türkei-Experte Bernd Liedtke
Foto: zVg

«Die Situation in der Türkei ist mit Worten nicht zu beschreiben», sagt Türkei-Experte Bernd Liedtke. «Das Land hat nichts mehr mit einem Rechtsstaat zu tun. Es ist tragisch.»

Europaweit bringen Menschen an öffentlichen Kundgebungen ihren Unmut über die Entwicklung zum Ausdruck. Auch in Bern und Zürich haben sich Hunderte versammelt, um gegen Erdogans Vorgehen zu protestieren.

Die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini twittert, sie sei wegen der Festnahme der Politiker «extrem besorgt». Sie ist nicht die Einzige: Auf Social Media fordern Politiker die Regierungen auf, dem radikalen Vorgehen Erdogans nicht tatenlos zuzuschauen.

Der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier hat bereits den amtierenden türkischen Gesandten zum Gespräch ins Auswärtige Amt einbestellt und indirekt mit dem Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen gedroht. Der dänische Aussenminister Kristian Jensen fordert vom ansässigen Botschafter «klare Antworten» von der Türkei. 

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Trotzdem werde die Europäische Union wohl nicht gegen Erdogan vorgehen, sagt Bernd Liedtke. «Es fehlt eine einheitliche Linie.» Seine Empfehlung an die EU: «Endlich für die Demokratie einstehen. So geht es nicht weiter.»

Das Einzige, was die Staaten vereine, sei die Sorge um einen erneuten Flüchtlingsstrom nach Europa. «Wir brauchen das Land, die Menschen der Türkei. Aber nicht diesen Politiker an der Spitze.» Der Staatspräsident reagiere und regiere autokratisch. «Wer gegen ihn ist, wird mundtot gemacht.» 

Die Polizei geht mit Gewalt gegen Demonstranten vor.
Foto: AP

So wurden mittlerweile mehrere Social-Media-Kanäle landesweit gesperrt, die türkische Polizei löste Demonstrationen mit Gewalt auf. «Erdogan baut einen komplett gleichgeschalteten AKP-Staat auf», sagt Bernd Liedtke.

Ein Bürgerkrieg sei nicht ausgeschlossen. «Es wird ein bewaffnetes Regime errichtet, das im Falle eines Putsches von der Partei ausgerufen werden kann», sagt der Türkei-Experte. Seine Prognosen für die Türkei sind düster: «Intellektuelle werden mundtot gemacht, oder sie wandern ab. Geht es so weiter, wird das Land geistig versumpfen, den Anschluss verlieren und zurückgeworfen werden ins Osmanische Reich.» (kra)

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